Dizzy Mizz Lizzy – Alter Echo – Columbia 2020

Von Matthias Bosenick (21.10.2020)

Was kommt nach dem jugendlichen Sturm und Drang, wenn dieser bereits 25 Jahre zurückliegt? Schwermut, Wehklagen und ein gewisser Starrsinn? Dizzy Mizz Lizzy klingen auf ihrem vierten Album, dem zweiten nach zwei Jahrzehnten Studiopause, im Grunde wie früher, nur: nicht mehr so komplex, nicht mehr so latent heavy auf den Punkt gespielt, dafür raumgreifend, man könnte sagen: kitschig, und schmerzvoll, man könnte sagen: jammernd. Ihren unterschwellig progressiven Indierocksound haben sie beibehalten, man erkennt das Dänische Trio also allein am Sound sofort wieder. Doch als so richtig erforderlich empfindet man „Alter Echo“ leider nicht, es wirkt wie unter Zwang eingespielt.

Der dritte Song, „Boy Doom“, trägt erst so richtig die Insignien Dizzy Mizz Lizzys, für die man sie Mitte der Neunziger entdeckte und liebte: unvorhersehbar hakenschlagende Gesangsmelodien, diesen folgende komplexe Gitarren-Rhythmus-Strukturen und eine gewisse Härte. Gleichzeitig offenbart er, wohin es das Trio heute verschlagen hat: Der Sound ist weicher, bald opulenter, und das Tempo hält längst nicht mehr mit dem der frühen Tage mit. Und dann erinnert man sich, dass auch Songs wie „Love Is A Loser’s Game“ vom 1994er Debüt schon solche Emo-Anflüge hatten, aber klarer, kantiger rockten. So etwas knackig Verschachteltes wie „…And So I Did“ wie auf dem Debüt wiederum findet man gar nicht mehr auf „Alter Echo“.

Stattdessen folgt mit „The Middle“ ein melodramatischer Schlager, auf dem Tim Christensen seine Stimme in gehörnervende Höhen presst. Auch das war eigentlich schon immer gegeben, dass des Sängers Organ etwas zu hoch für die Musik klang, aber gerade das machte damals den Reiz aus, weil es als Kontrast hervorragend funktionierte. Hier indes hat man eher den Eindruck, von seinen Emotionen malträtiert zu werden, weil die Musik ihnen zu ähnlich ist. Je tiefer er aber singt, desto angenehmer fügt sich die Stimme in den Sound; in „California Rain“ etwa gibt es eine Bridge, die dies angenehm untermauert.

Aber dann ist Christensen ja auch noch Musiker, Gitarrist nämlich, und auch Schlagzeuger Søren Friis und Bassist Martin Nielsen sind welche, und das belegen sie, indem weite Passagen des Albums in den Progrock driften, in den für Erwachsene inzwischen allerdings, den bequem eingerichteten, nicht mehr den herausfordernden. Da kommen dann wieder die Fähigkeiten zur komplexen Komposition zum Tragen, mit den altersbedingt zurückgefahrenen Eigenschaften. Was darin gipfelt, dass die B-Seite respektive die zweite Hälfte des Albums ein fünfgeteilter Track namens „Amelia“ darstellt, mit musikalisch spannenden instrumentalen Passagen, überraschenden Stimmungswechseln, einer zugrundeliegenden Dramaturgie, latenter Dudeligkeit und einer abschließenden Üppigkeit, die inklusive Chor den Kitsch nicht nur schrammt.

Es bleibt ein schales Gefühl, sobald der letzte Ton verklingt, so oft er dies auch mag. „Dizzy Mizz Lizzy“ und „Rotator“ waren 1994 und 1996 knackige Spezialitäten, deren Explosionskraft auch weit über die Grenzen Dänemarks hinaus effektiv war. Eine Live-Reunion vor zehn Jahren war eine gefeierte Nummernrevue der gealterten Stars, der jene wohl nicht ohne den Ansporn neu erblühter Kreativität begegnen wollten, und so gibt es eben nun bereits genau so viele Studioalben seitdem wie davor. Technisch scheint dies jedoch nicht einmal mehr auf der Höhe dessen zu sein, was Tim Christensen seit dem Jahr 2000 solo auf die Beine gestellt hatte; da waren seine Songs zwar auch etwas gefälliger als die mit Dizzy Mizz Lizzy, aber ebenso komplex und knackig. Und das fehlt hier. Vielleicht ruhen sich Dizzy Mizz Lizzy etwas zu sehr auf dem Status der größten Rockband Dänemarks aus – und sollten den einfach wieder an D-A-D zurückgeben.