Die Müller Verschwörung – Artfremd an verschiedenen Orten – Die Müller Verschwörung 2020

Von Matthias Bosenick (04.01.2021)

Alles anders und doch so vertraut: Aus der 2002 gegründeten Band Müller & die Platemeiercombo wurde in den zurückliegenden fünf Jahren irgendwann Die Müller Verschwörung, aus grafischen Gründen leider ohne Bindestrich (aber gottlob auch ganz ohne Q). Grund war der beruflich bedingte Abgang von Plate und Heyl und die daraus folgende personelle Neubesetzung. Auch am Mikro: Bandchef „Bo“ Müller teilt sich den Posten des Sängers jetzt mit Theaterperformer und Multiinstrumentalist Roland Kremer, und darin liegt im Grunde der größte Unterschied zur Platemeiercombo, denn ansonsten behält die Band musikalisch den catchy Mix aus vermeintlichen Easy-Listening-Rhythmen und latentem Stoner-Rock bei. „Artfremd an verschiedenen Orten“ stellt inhaltlich eine Art Konzeptalbum dar: Die meisten Texte behandeln Weltekel allgemein und Kapitalismuskritik speziell. Das Album als Doppel-10“ kauft man der Band aber trotzdem bereitwillig ab.

Man muss sich erst daran gewöhnen, dass eine Müller-Platte nicht mehr ausschließlich nach Müller klingt, weil mit ihm Kremer singt. Der hat einen völlig anderen Ansatz, seiner Theatersozialisation geschuldet: Während der introvertierte Müller zurückhaltend, aber nachdrücklich seine philosophischen und analytischen Absurditäten vorträgt, verlegt sich der extrovertierte Kremer zuweilen aufs Performen. Damit wechselt der Habitus von der introvertierten Platemeiercombo zur extrovertierten Verschwörung. Aber nicht vollständig, und das ist gut so, auf den klassischen Müller möchte man einfach nicht verzichten; besonders charmant sind da die Duette, die beide Welten vereinen.

Ein Song etwa wie „Du bist nicht mehr allein“, bereits bekannt von der „… machen alles richtig“-EP des temporären Trios Müller.Meier.Rosenmüller, trägt die vertrauten verschachtelten Melodien und Satzbildungen sowie den nach innen gerichteten Blick, hier auf die sich ändernde Beziehungssituation eines Mannes, erstaunlicherweise indes einen versöhnlichen. Bei Kremer klingen solche Songs leicht nach Rio Reiser, nach Shanty, nach Kneipe, nach großer Bühne, sind außerdem direkter, weniger poetisch als bei Müller.

Einige Lieder kennt man bereits von Konzerten, so war es auch schon immer bei Müller: Sobald er ein Album fertig hat, spielt er live die Songs des nächsten. Lediglich die fünf Songs der „Demografie 17/18 e.p.“ finden hier keine Berücksichtigung. „Ich bin ein Planet“, „Arme Schweine, reiche Schweine“ und „Junge Männer“ hingegen stecken dem Aficionado bereits zwingend swingend im Blut. Letzterer ist eine etwas befremdliche Abrechnung mit dem Verhalten junger Menschen; das schmeckt leicht mehr nach Altersneid als nach Ironie. Das ist aber eine Ausnahme, auch wenn das Plakative mehr Einzug in die Texte hält als zuvor. Auf der anderen Seite stehen Stücke wie das nicht einmal einminütige „Ich habe versagt“, in dem Müller Text und Form grandios zu einer inhaltlichen Einheit bündelt. Einen Rückgriff auf Müllers musikalische Früherziehung findet man übrigens in „Mein Jahrgang“, dessen Text nämlich mit der Formulierung „Neulich vor zwei Wochen“ beginnt, die Müller von seiner ersten Band Die Trottelkacker übernahm.

Und dazu spielt eine grandiose Band. Müller als Gitarrist mit Flanger und Stonersozialisation (und Glockenspiel) sowie Götterbassist Chrisz Meier sind geblieben, Olli Pohl nimmt am Schlagzeug die lateinamerikanischen und auch anderweitig gebrochenen Rhythmen von Andy Plate traumwandlerisch auf, als hätte er diesen Platz schon immer inne gehabt. Und Kremer ist mit seinem Instrumentarium rund um Trompete und Akkordeon ohnehin Dauergast auf Müller-Veröffentlichungen.

Wenn dieses Quartett nun also das Dutzend Lieder instrumentiert, kommen dabei wundervolle Songs heraus, die nicht nur die Texte transportieren, sondern eben musikalisch etwas zu bieten haben; das galt für Müller-Alben schon immer. Der einzigartige Mix aus traditionellen Schlagerrhythmen lateinamerikanischer Prägung garniert mit Ohrwurmmelodien und experimentelleren Passagen setzt sich auch auf diesem Album fort. Nebenbei ist es bemerkenswert, dass die Band die Aufnahmen zu Coronazeiten nicht wie geplant und begonnen gemeinsam im Studio vollenden durfte, dieses Album mithin ein Dokument für einen gelungenen Umgang mit der Krise darstellt, dem man eine vereinzelte Holprigkeit daher mit Bewunderung abkauft. Die „verschiedenen Orte“ des Titels sind übrigens, folgt man den Koordinaten auf dem zugegebenermaßen etwas hässlichen Cover, Nordhorn, Rühen, Braunschweig und Evessen, also die doch reicht weit auseinander gelegenen Wohnorte der Musiker; auch dieser Umstand erleichtert gemeinsame Aufnahmen nicht eben.

Nach dem Vorgänger „Castafiore“ ist „Artfremd an verschiedenen Orten“ das zweite Müller-Album, das es auch auf Vinyl gibt, und dieses Mal sogar als nerdige Doppel-10“. Muss man haben, ganz dringend! Nicht nur deshalb: zwölf verdammte Ohrwürmer sind drauf. Auf Müller ist einfach Verlass.

Erhältlich per Email an Bo: nesselhag@gmx.de