Converge & Chelsea Wolfe – Bloodmoon: I – Epitaph 2021

Von Matthias Bosenick (02.03.2022)

Da geht die Post ab, besser: das Post, denn das hier auf „Bloodmoon: I“ ist Post-Allesmögliche, Post-Hardcore, Post-Metalcore, Post-Postrock, Post-Doom, Post-Sludge, Post-Progmetal, Post-Grunge, Post-Gothrock, Post-Ambient, Post-Postpunk. Dem Converge-Schreihals Jacob Bannon steht hier Chelsea Wolfe zur Seite, die dem zumeist langsam lärmenden Gesamtwerk manchmal sogar etwas von Patti Smith verleiht. Dafür fährt die Band das Hardcore-Tempo zurück, wuchtet malmend und lässt sehr viel Zeit für richtiggehend fragile Momente. So düster geht Hardcore! Eine höchst bemerkenswerte Entwicklung.

Und wie viel Schönheit bei Converge plötzlich möglich ist: In „Coil“ etwa singt Bannon klar zur Akustikgitarre, Wolfe gesellt sich alsbald hinzu, der Song baut sich allmählich behutsam auf, mausert sich zur Hymne und entwickelt noch den größten Popappeal des grundsätzlich dunkel gefärbten Albums, bis die Band die Wucht zurückholt. An vielen Stellen des Albums ist der Sound so dicht, dass er fast orchestral wirkt, und das bei groovendem Bass. Aber kein Wunder bei dem Personal, das inklusive Wolfe aus sieben Leuten besteht, darunter mit Wolfes Mitmusiker Ben Chisholm auch einer, der Keyboards bedient, was wohl eine Grundlage für orchestrale Momente sein dürfte; aber nix gegen die grundsätzliche Fettheit des Restsounds, den schafft die Band auch allein – und durchbricht ihn im Verlauf der überwiegend überlangen Tracks auch gern progressiv.

„Flower Moon“ setzt das Leichtgoutierbare zunächst fort, doch will die Band die Zügel gar nicht durchgehend anziehen, das Album birgt die Sludge-typische unterschwellige Energie, die in manchen Tracks durchgehen, in manchen immer mal wieder ausbricht. Wie bei den Melvins gilt auch hier, dass Härte nichts mit Tempo zu tun haben muss; auch wenn „Viscera Of Men“ rasant beginnt, ist dies vielmehr als wiedererkennbaren Rückgriff auf die klassischen Converge zu deuten als auf die Absicht, den „Bloodmoon“ eilig abzuhandeln. Klassische Converge schimmern trotz allem natürlich immer wieder durch, alte Freunde bekommen ausreichend Wiedererkennungswerte, nur dass hier eine opulente Schippe Dreck auf dem vertrauten Sound liegt. Erstaunlicherweise sind es jedoch die eher klassischen Metalcore-Passagen, die auf diesem Album am wenigsten attraktiv sind, was wohl auch daran liegen mag, dass das Genre auserzählt ist, weshalb so ein erheblich großer Schritt, wie ihn Converge mit „Bloodmoon“ grundsätzlich wagen, die beste Entscheidung ist, die die Band fällen konnte.

Ein Crossover ist dieser Tage ohnehin die bestmögliche Idee, sein eigenes Spektrum aufzubrechen, und Chelsea Wolfe ist so weit weg dann offenkundig doch nicht, wenn ihre Beiträge hier zu so etwas Grandiosem führen. „Lord Of Liars“ etwa in der Mitte des Albums stört schon beinahe damit, dass es Vertrautes wiederkäut, und schon mit dem streckenweise annähernd grungigen „Failure Forever“ zeigen Converge, wie sehr sie zu Neuerungen bereit sind. Ein Stück wie „Scorpion’s Sting“ könnte in seiner gruftigen Country-Anmutung auch von 16 Horsepower gewesen sein, das epische „Crimson Stone“ eine schwere Variante von Sigur Rós. Und wie geil natürlich die Stimme von Wolfe hier passt, sowohl in ihren Solomomenten als auch im Kontrast zu wahlweise klarem wie geschriebenen Gesang von Bannon. Man mag es kaum laut sagen, aber im finalen „Blood Dawn“ performt sie Harmonien, die stark an Abba erinnern.

„Bloodmoon: I“ ist die Studioalbumversion einer Konzertreihe, die Converge 2016 unter dem Motto „Blood Moon“ mit diversen Gästen starteten, darunter auch der frühere Converge-Bassist Stephen Brodsky, der hier im Hintergrund mitsingt. Da Steve von Till von Neurosis ebenfalls Teil der Live-Bande war, darf man sich auf „Bloodmoon: II“ wohl sehr freuen. Hoffentlich ist Wolfe dann auch wieder dabei. „Bloodmoon“ ist eine konsequente Weiterentwicklung, wie man sie sich von vielen Genrebands wünschen würde, die zudem belegt, wie gut sich die Musiker spielerisch, technisch und kompositorisch von der Stelle bewegen. Und das nach über 30 Jahren und vorher neun Alben, Respekt! Da könnten sich sehr viele andere einige Scheiben abgucken. Man stelle sich nur vor, sarenwamal, SunnO))) mit Anna von Hauswolff, das wäre doch was!