Andreas Reiffer (Hg.) – Die Wahrheit über Heavy Metal – Verlag Andreas Reiffer 2015

Von Matthias Bosenick (15.03.2015)

Am Ende dieses Buches wird – mindestens zwischen den Zeilen – klar: „Die Wahrheit über Heavy Metal“ ist, dass es sie nicht gibt. Es gibt unzählige Aspekte und Fassetten, und diese Vielschichtigkeit und Ambivalenz wird in den hier versammelten Texten über die Schwermetallmusik deutlich. Heißt: Die Jungs sind längst nicht so hart, wie sie gern aussehen wollen, und die Mädels sind nicht einfach nur optisches Beiwerk. Ansonsten ist im Heavy Metal vielleicht nicht alles, aber doch weit mehr möglich als in vielen anderen Subkulturen, und sei es nur die Selbstironie. Die Erfahrung belegt: Metaller sind zum Knuddeln nett. Sie geben sich nur gern so, als stimme dies nicht.

Besonders an der Selbstironie macht man den Blick der Subkulturen auf sich selbst fest: Dient sie in den meisten Fällen, so sie überhaupt stattfindet, vielmehr dazu, die zum Minderwertigkeitskomplex neigende Selbstwahrnehmung vom Rezipienten in Lobhudelei umgewandelt zu bekommen, findet sie im Metal (und im Punk) zumeist tatsächlich statt. Damit ist sie auch deutlich unterhaltsamer, weil schonungsloser als bei anderen.

Für dieses Buch sammelt Verleger und Herausgeber Andreas Reiffer Texte von zehn Genreschreibern. Naheliegend ist, dass zu den Beitragenden die Mitglieder der Braunschweiger Lesebühne „Read ‚em All“ gehören: Axel Klingenberg, Frank Schäfer und Till Burgwächter, die in sich schon so unterschiedliche Betrachtungsweisen und Schreibstile repräsentieren, dass die seltenen Auftritte des Trios der abgelutschten Floskel, es sei für jeden Geschmack etwas dabei, bestätigend Rechnung tragen. Erwartbar und deshalb aber nicht minder erfreulich ist auch die Teilnahme von Black-Metal-Slammer Micha-El Goehre. Der Rest muss dann in Szenekreisen populärer sein: Christian Krumm, Paul Fejfar, Francis Kirps, Matthias Penzel, Ronald R. Klein und Christian Bartel.

Was drei Autoren schaffen, gelingt zehn noch viel besser: Das Spektrum so breit wie möglich halten. Das betrifft unter anderem die betrachteten Inhalte, den Schreibstil, das Selbstverständnis, den Musikgeschmack und die Offenheit. Dem einen ist klar, dass er als jemand, der über Metal schreibt, dies mit einem gewissen Neid dem gegenüber tut, der die Gitarre massenbegeisternd zu spielen vermag. Der nächste definiert seinen Selbstwert darin, dass alle anderen Musikrichtungen als straighter, unziselierter Metal, insbesondere der Pop, der falschen Lehre anhängen. Der dritte zeigt sich den populären Spielarten im eigenen Genre gegenüber als gehässig und ungnädig.

Natürlich funktioniert Metal nicht ohne Gottesbezug und Spiritualität; wo der eine sich lästernd über die nichtsichtbaren Dinge stellt, akzeptiert der nächste den Gläubigen nebenan. In diesem Zuge betrachten Autoren auch den Metaler, der im Alltag ankommt, mit Kinderwunsch und Kindstaufe bis hin zum Tod, der ohnehin und zwangsläufig allgegenwärtig ist, wenn auch gottlob nicht dominierend. Und ebenso natürlich streift das Buch auch die handelsüblichen Metalthemen: Wacken, Iron-Maiden-Maskottchen Eddie, Proberäume, Tourprobleme, Gigs, im Vomieren endende Trinkgelage.

Die Texte sind dabei in passend unterschiedlichen Literaturgattungen verfasst, von Kolumne über Essay, Reisebericht und Reportage bis hin zu Kurzgeschichte. Damit sind die literarischen Fähigkeiten ebenso unterschiedlich wie die musikalischen der Metalbands. Zwischen die humorigen, schnoddrigen und gestelzt ironischen Artikel platzierte der Herausgeber auch nicht so einfach konsumierbare Literatur; vom Rock’nRoll zum Progmetal quasi. Summa summarum hält man ein vergnügliches Buch über nicht nur verschrobene Menschen mit einem besonderen Musikgeschmack in den Händen.

Nur eines enthält das Buch nicht: „Die Wahrheit über Heavy Metal“.