Alien Sex Fiend – Live im K17 in Berlin am 26. Juli 2012

Von Matthias Bosenick (28.07.2012)

Zeit spielt absolut keine Rolle bei Alien Sex Fiend. So etwas wie Zeit gibt es nicht, keine Relation, kein Fortschreiten, keine Begrenzung. Die Engländer feiern das 30jährige Bestehen ihrer kleinen Band aus dem Batcave mit einer Best-Of-Tour. 30 Jahre? Viele Gothics, Gruftis, Batcaves und sonstige Indie-Fans wissen oft gar nicht, dass es Alien Sex Fiend überhaupt noch gibt, denn die kreative und intensive Hochzeit der Band ist heute doppelt so lange her, wie sie gedauert hat. Entsprechend deckte die Band auch ihre Setlist ab: Alle zehn Stücke stammten aus den ersten zehn Jahren. Und nochmal zeitlos: Zehn Stücke in einer Stunde und 50 Minuten bei einem kurzen und knackigen „R.I.P.“ dazwischen macht satte zwölf Minuten Spielzeit pro Song, besser: pro tranceartig aufgeschichtetem Kunstwerk. Von vor 30 Jahren stammte auch die Bühnendeko: Wie auf dem Cover des Debütalbums „Who’s Been Sleeping In My Brain?“ hingen Spinnenwebenfetzen von der Decke, dazu standen einige von Nik Fiend entstellte Schaufensterpuppen und eine Mülltonne auf der Bühne herum. Die Tonne nutzte Nik Fiend häufig dazu, sich während seiner Stimmbeiträge auszuruhen. Mrs. Fiend bediente die anfällige Technik. Außer den wahrhaftig lustigen Eheleuten Fiend spielte noch ein Metzger im blutüberströmten Kittel Gitarre und fummelte ein Frisör im unbesudelten Kittel an technischen Geräten herum. Mehr brauchte es nicht, um das volle K17 glücklich zu machen und zum Wogen und Pogen zu bewegen.

Die Stücke waren deshalb so lang, weil Mrs. Fiend ewig brauchte, sie in Gang zu bringen. Die Technik versagte recht oft, aber entschuldbar, und anscheinend war das auch der Grund, weshalb es keine Zugaben gab. Machte ja auch nichts, die fast zwei Stunden waren fantastisch genug. Mrs. Fiend erzeugte die alten und vertrauten Sounds aus den 80ern, die sie zwar mit modernen Mitteln scharfzeichnete, aber gottlob nicht durch moderne Sounds ersetzte. Sie startete die einzelnen Songbestandteile mit langen Einsatzzeiten nacheinander und baute die Lieder so behutsam auf. Sie und der Gitarrist ergänzten sich darin, auf diese Weise die wiedererkennbaren Parts der zehn Superhits auf die glücklichen Übervierzigjährigen loszulassen. Ein Stück startete etwa mit einem typischen rhythmischen Klicken und dem dazugehörigen Beat. Die Meute jubelte und tanzte dazu, bis sich später Bass, Melodien, weitere Effekte und überhaupt alle Bestandteile, die man von den Albumversionen kennt, irgendwann dazugesellten. Nik Fiend bellte, grölte und sang dazu. Diese Langversionen langweilten nie und ließen außerdem nie das Gefühl aufkommen, etwas Neues zu versäumen, denn schließlich beinhalteten die alten Stücke den neuen und überraschenden Aufbau. Damit bediente das Quartett Zuhörer und Tänzer und die Mischform aus beidem. Versinken und träumen und sich bewegen und ab und zu Slogans wie „I Walk The Line“ mitgrölen und sich über die Zeile „Breakfast in Berlin“ aus „Ignore The Machine“ freuen und sich wundern, dass die Musik trotz der 80er-Sounds weit weniger alt wirkt als der wie Max Schreck als Nosferatu aussehende Nik Fiend – oder das Publikum.

Das immerhin bestand nicht aus den zeitgenössischen Kinder- und Mainstreamgruftis. Diejenigen Leute, die optisch leicht von, sagen wir, einem Bankangestellten abwichen, wirkten nicht wie aus dem Katalog zusammengebastelt, sondern wie seit 30 Jahren und damit von Natur aus so gestylt. Bandshirts warben für ASF-Zeitgenossen wie Bauhaus, Fields Of The Nephilim oder Christian Death, andere verdeutlichten den offenen musikalischen Horizont ihrer Träger, die auch Iron Maiden, Daily Terror oder Primus gutfanden.

Einzig das K17 selbst machte nicht den Eindruck, am Wohlergehen seines Publikums interessiert zu sein. Bot es einerseits Bier und Bratwurst an, war es andererseits nicht in der Lage, die geweckten Wünsche im angemessenen Zeitrahmen zu erfüllen. Noch schlimmer war die Security, die mitten im Konzert wahllos Zuschauer aus der Menge zerrte, teilweise mit körperlicher Gewalt, und ihnen unterstellte, gekifft zu haben. So geht’s nicht, Hauptstädter! Aber was soll’s. Man verbrachte seine Zeit mit netten Leuten und sah ein sehr gutes Konzert seiner alten Helden Alien Sex Fiend. Das zählt.

Die Songs (in einer beliebigen Reihenfolge, denn das Erinnerungsvermögen reicht für die korrekte Abfolge nicht aus):

E.S.P. (Trip To The Moon) (von Acid Bath, 1984)
Isolation (von Here Cum Germs, 1987)
R.I.P. (Blue Crumb Truck) (1983)
I Walk The Line (1986)
Now I’m Feeling Zombiefied (von Curse, 1990)
Manic Depression (von It, 1986)
Hurricane Fighter Plane (Original: Red Krayola, von The Impossible Mission 1987)
Ignore The Machine (von Who’s Been Sleeping in My Brain?, 1983)
I’m Doing Time In A Maximum Security Twilight Home (von Maximum Security, 1985)
Crazee (1983)

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