Alien Sex Fiend – Classic Albums And BBC Sessions Collection – Cherry Red 2015

Von Matthias Bosenick (11.05.2015)

Seit Jahren schon ist das vierte Album „It“ von Alien Sex Fiend nicht mehr zu erschwinglichen Preisen auf CD zu haben. Die drei Alben davor erfuhren allesamt bereits eine Wiederveröffentlichung, diejenigen danach auch – und jetzt stellen die Londoner Batcave-Helden auch „It“ wieder auf CD bereit, allerdings ausschließlich in dieser Vier-CD-Box im Bunde mit den ersten drei Alben. Sowie diversen Bonus-Tracks, die sich aber eklatant von denen der bisherigen CD-Veröffentlichungen unterscheiden. Egal, die Box lohnt die Anschaffung.

Was die sympathischen Eheleute Nik und Mrs. Fiend mit wechselnden Mitmusikern als Alien Sex Fiend Anfang der 80er im Londoner Batcave-Club lostraten, fand in der Gothic-Szene viele Wegbegleiter, aber bis heute so gut wie keine originalgetreuen Epigonen. Das ist einmalig in der Musikgeschichte, möchte man meinen. Nicht minder verwunderlich ist die Tatsache, dass der schon immer wie eine singende Leiche erscheinende Nik Fiend auch heute noch lebt und auftritt. Wie seit 20 Jahren schon füttert Mrs. Fiend die zwischen den spärlichen neuen Alben auf mehr Futter wartende Fangemeinde mit mehr oder weniger notwendigen Compilations und Rereleases. „It“ stand in diesem Zuge noch aus.

Aber der Reihe nach: „Who’s Been Sleeping In My Brain“ bediente sich 1983 noch beim Garage Punk, bei Surfmusik, bei Twang und Rock’n’Roll. Ab „Acid Bath“ kam nur ein Jahr später der Synthesizer in den Sound dazu, die Stücke schwankten zwischen dem vorherigen Post-Punk und wahnwitzigen Experimenten, die eine handelsübliche Liedstruktur karikierten, aufbrachen und um titelgebende Erfahrungen erweiterten. Musikalisch war die Band weit in das abgebogen, was später wohl unter „Gothic“ firmierte. Der rauhe Punk der frühen Tage war dann 1985 auf „Maximum Security“ beinahe vollständig verflogen, der angenehm ungruftige schräge Humor machte dann 1987 auf „It“ einer beklemmenden Düsternis Platz. Über die Alben und die Non-Album-Singles zogen sich immer diverse Trademark-Samples, die die Band hier und da in ihre Songs einstreute. Auch bedienten sich Alien Sex Fiend bei Sounds, die aus den Charts bekannt waren, setzten sie aber vergleichsweise chartsuntauglich ein. Trotz aller Verweigerungshaltung gelangen Alien Sex Fiend einige bis heute gültige Szene-Hits, die immer noch für volle Tanzflächen sorgen, darunter „Ignore The Machine“ vom Debüt, „E.S.T. (Trip To The Moon)“ und „Attack!!!!!!“ von „Acid Bath“ und natürlich „I Walk The Line“, das 1986 als albumlose Single erschien. Auf „It“ hingegen wusste die Band mit schleppend-scheppernden Preziosen wie „April Showers/Wop-Bop“ und „Get Into It“ zunächst zu verstören und bei näherer Beschäftigung nachhaltig zu begeistern.

Diese Begeisterung ist jetzt wieder auf CD empfindbar. Was nur erstaunt, ist, dass sich Alien Sex Fiend für die Wiederveröffentlichung nicht an den bisherigen Rereleases der CDs orientierten, sondern an den ursprünglichen LPs, was bedeutet, dass sich hier andere Bonus-Tracks an die Ur-Alben anschließen. Im Vergleich gibt es zwar einige „neue“ Tracks in der Box, wer aber nicht die Compilations und vorherigen Alben-Versionen sein Eigen nennt, hat einige Versäumnisse zu beklagen. Schon immer verteilten Alien Sex Fiend ihre Songs, Remixe und anderen Stücke in diversen Versionen auf Singles, 10“es, 12“es und sogar einer 11“. Das meiste davon fand sich im Verlaufe der Jahre irgendwo auf den unzähligen Compilations wieder.

Die erste CD-Version von „Who’s Been Sleeping In My Brain“ bot „New Christian Music“ und „Crazee“ in Live-Versionen als Bonus, die es davor auf einer der vielen unterschiedlichen „R.I.P.“-Singles gab. Beide Tracks fehlen in der neuen Box, dafür gibt es „Under The Thunder (Ignore The Dub)“ (von der Single „Ignore The Machine“) und „30 Second Coma“ (von der Single „Lips Can’t Go“) sowie die Single „R.I.P. (Blue Crumb Truck)“ mit der B-Seite „New Christian Music (Single Version)“, die eigentlich erst im Zuge des zweiten Albums herausgekommen waren.

Die beiden Bonus-Tracks „Boneshaker Baby“ und „I Am A Product (Live)“ finden sich auch jetzt wieder auf „Acid Bath“, das bisherige „30 Second Coma“ rutschte eine CD nach vorn und ist hier ersetzt durch „Dead And Buried“ und „Attack!!!!!“ von der gleichnamigen Single.

„Maximum Security“ von 1985 hieß ein Jahr später „The First Compact Disc“ und beinhaltete zusätzlich zur LP die Tracks „E.S.T. (Trip To The Moon)“, „Boneshaker Baby“, „Ignore The Machine (Electrode Mix)“ und „Attack!!!“. Bis auf den tanzflächenfüllenden Remix von „Ignore The Machine“ sind die Tracks nun auf der neuen Version von „Acid Bath“ enthalten, daher ist nur ersterer hier erneut als Bonus dabei. Zusätzlich gibt es BBC-Live-Mitschnitte von „Attack!!!!!“, „Dead And Buried“, „Hee-Haw“ und „Ignore The Machine“, die sich indes nicht wesentlich von den anderen Varianten unterscheiden.

Die fehlenden Bonus-Tracks von „It – The CD“ sind hingegen etwas schmerzhaft: Das Cover von „Hurricane Fighter Plane“, im Original von The Red Crayola, sowie „It Lives Again“ muss man sich anderweitig nachkaufen: auf der 12“, der „The Impossible Mission EP“ oder auf der Compilation „R.I.P. A 12“ Collection“. Der dritte Song „Buggin‘ Me“ von der „Smells Like …“-12“ ist auch auf dieser „It“-Version wieder drauf, dazu „I Walk The Line“, das es bislang außer auf der Single nur auf Compilations gab, außerdem dessen B-Seiten „Here She Comes“ und „Can’t Stop Smoking“, die beide zuvor nur im Rahmen obskurer Compilations auf CD zu haben waren. Verzichtbare BBC-Live-Versionen von „In God We Trust“ und „E.S.T. (Trip To The Moon)“ schließen „It“ ab.

Besonders das Frühwerk von Alien Sex Fiend ist mit seinen extrem unterschiedlichen Varianten ein- und derselben Single ohnehin unübersichtlich. Alles zu sammeln, egal auf welcher Art von Tonträger, ist eine Lebensaufgabe. Wenigstens die LPs sind jetzt wieder voll zugänglich, und das auch in den originalen Artworks, also „Maximum Security“ mit dem schwarzweißen Bandfoto, nicht dem Nik-Fiend-Gemälde der „First Compact Disc“.

Nein, an dieser Box ist trotz der verwirrenden Bonus-Auswahl nichts schlecht. Für Fans ist es eine nette Ergänzung, für Unbeleckte ein extrem leichter Einstieg. Und der lohnt sich, man muss nur bereit sein, seine Hörgewohnheiten zu erweitern. Die alte Musik von Alien Sex Fiend fordert dazu heute noch genau so heraus wie vor 35 Jahren – das muss mal einer nachmachen.

Wer die Box übrigens im Shop der Band kauft, bekommt die vom Ehepaar Fiend handsigniert. Allein dafür lohnt es sich doch.