Alessandro Adelio Rossi – Òpare – DDDD 2023

Von Matthias Bosenick (01.03.2024)

„Òpare“ ist ein elektronisch erstelltes Album, das man ganz gut unter Klassik einsortieren könnte, wenn Ambient allein nicht ausreicht. Als zurückgenommene minimalistische Kammermusik bildet der Experimentalmusiker Alessandro Adelio Rossi aus Bergamo die Woche von Montag bis Samstag ab, unterteilt nach Tageszeiten, und wenn man sich vorstellt, dass die meisten Tracks den Morgen behandeln und dass der Künstler in Bergamo nahe Mailand lebt, dann müssen diese Tage brütend heiß beginnen, so chillig, wie die Musik dazu ausgefallen ist. Das Album, zu Deutsch ungefähr „Hoppla“, beinhaltet hauptsächlich Soundkulissen, akustische leere Landschaften, Klangtapeten und erst spät einen Rhythmus und konkretere Strukturen. Wunderschön watteweich, ein Labsal im stressigen Alltag.

Die meisten Töne sind in hohen Lagen gespielt, wie auf einem Glockenspiel, einem Metallophon oder ähnlichem Instrumentarium. Man hört bisweilen einen Anschlag wie mit einem Klöppel, zumeist erklingen die Töne aber einfach, variieren leicht, verändern die Tonhöhen, langsam und behutsam, wie ein schwerfälliger Schmetterling im Sommerwind, der über einen Olivenhain streicht. Mal fügt Rossi wie am „Lunedì mattina“, dem „Montagmorgen“, Streicher hinzu, mal eine tiefere Tonlage, mal einen angedeuteten Chor, und erst gegen „Venerdì pomeriggio“, „Freitagnachmittag“, gesellt er einen Beat hinzu, rhythmische Sounds, klar, die Arbeitswoche liegt hinter einem, die Party kann starten, und dann ergänzen auch Gesang, Geschrei beinahe, Akkordeon, technoide Electro-Sounds die Gemengelage, und trotzdem ist der sich anschießende „Venerdì sera“, der „Freitagabend“, wieder tiefenentspannt und gleitet in einen wiederum tiefer gespielten „Sabato mattina“, den „Samstagmorgen“.

Eigentlich geht das komplette Album Track für Track ineinander über, man kann die Übergänge nicht akustisch ausmachen, mit der Ausnahme des „Venerdì pomeriggio“, dessen Party Rossi ausblendet, bevor der Abend beginnt. Trotz der vermutlich digital erstellten Sounds verzichtet Rossi darauf, Verfremdungen einzusetzen, also Glitches oder andere Störeffekte; seine Musik belässt er klar und sonnendurchströmt.

Eigentlich ist Rossi Grafikdesigner, bei Discogs findet man ihn hauptsächlich als Covergestalter. Auf seiner Bandcamp-Seite verrät er, dass er mit zahllosen Musikern im Studio und live performte, quer durch alle erdenklichen Genres und mit der Gitarre als Basis für seine abstrakten Sounds. Das kann natürlich auch für „Òpare“ zutreffen – das können Techniker besser erkennen, dass die entspannte Arbeitswoche hier ebenfalls gitarrenbasiert ist. Auch ohne dieses Fachwissen ist das Album indes ein Genuss. Drei weitere Alben finden sich von ihm auf Bandcamp, eines aus dem Jahr 2008 unter dem Alias Ivonne Gut, deren Name außerdem bereits 2003 auf einer obskuren 10“ namens „The Vegetable Man“ auftaucht.

Von „Òpare“ fühlt man sich angenehm umschlungen, entschleunigt im Alltag, deeskalierend begleitet durch die Woche. Und irgendwie möchte man glauben, man säße bereits am Morgen irgendwo im sommerlichen Norditalien, blicke über jetzt schon hitzige Landschaften und nippe an einem selbstgebrannten Limoncello, während Rossis Album läuft.