Alcest – Spiritual Instinct – Nuclear Blast 2019

Von Matthias Bosenick (02.01.2020)

Drei Jahre nach „Kodama” klingt das Nachfolgealbum nicht nach seinem Titel, „Spiritual Instinct“: Alcest kehren dem melodiösen Pop-Postrock häppchenweise den Rücken und wenden sich wieder dem Metal zu. Die Genrebezeichnungen Blackgaze oder gar Black Metal mag keiner der beiden Franzosen, doch sind sie nicht ganz von der Hand zu weisen. Ein paar Pfund mehr auf den Rippen stehen dem Sound jedenfalls gut. Spannend sind überdies die drei Bonus-Tracks der Vinyl-Buch-Version: Da hält plötzlich industrielle Elektronik Einzug.

Das Sanfte ist seit jeher, also seit ungefähr 15 Jahren, elementar bei Alcest, da steuern auch die sämtlichen Eigenschaften des Metal nicht gegen, so sie denn zum Einsatz kommen. Das heißt also auch für „Spiritual Instrinct“, dass sich die Alcest-Musiker Neige und Winterhalter in Wohlklang und Harmonie austoben, obwohl sie die elektrischen Gitarren wieder verzerrter anschlagen. Damit gelingt ihnen eine überzeugende Kombination aus den jüngeren, recht gefälligen epischen Postrock-Sounds und den härteren Riffs.

Von Black Metal indes soll bei Alcest nach wie vor keine Rede sein, heißt es, und dem sei zugestimmt, auch wenn Neige gelegentlich schreit oder das Schlagzeug mal etwas beherzter davonprischt. In diesem Zuge verwehren sich Alcest auch gegen die neumodische Schublade Blackgaze, und auch da mag man nicken, wenn auch mit dem Haupte wiegend, denn einerseits ist die Grundstimmung auch auf „Spiritual Instinct“ tatsächlich um einen Hauch zu positiv, um Black zu sein, andererseits lassen sich die Tracklängen zwischen fünf und neun Minuten recht gut mit gazigen Strukturen füllen, und Alcest verstehen sich genau darauf.

Seit „Shelter“ hat man indes mit neuen Alcest-Alben zunächst das Problem, dass die Songs nur schwer ins Ohr gehen und sich mit ihrer vordergründigen Gefälligkeit auch noch dagegen sperren, sofort gemocht zu werden. Erst nach mehrmaligem Hören, oftmals auch erst Jahre später, begreift man aber, dass die Alben sehr gut sind und man sie richtig gern hört. Auf „Spiritual Instinct“ sorgen nun die Metal-Riffs für angenehme Widerhaken, die das Hängenbleiben erleichtern. So richtig das fette ausufernde Breitbandbrett wie zu Frühzeiten des Projektes fährt indes auch dieses Album nicht auf, aber wozu auch, das gibt es ja bereits.

Was es bis dato noch nicht gab, sind elektronisch unterfütterte Remixe von Alcest, und mit der limitierten Deluxe-Version gibt es derer gleich zwei. Den ersten übernahm Petrubator alias James Kent, Sohn zweier Rockkritiker, den zweiten Ben Chisholm, der unter dem Alias Wild Eyes bereits mit Chelsea Wolfe musizierte. Beide Remixer übertragen die Flächigkeit des Alcest-Sounds in komplemetäre Industrial-Strukturen; ein ganzes Album in diesem Gewand wäre von großem Interesse. Zuletzt fabrizieren Stéphane Paut und Jan Deflandre, wie Neige und Winterhalter wirklich heißen, eine Akustik-Instrumental-Version eines Albumtracks, der im Original deutlich kürzer ist und auch in dieser Variante begeistert; die Bezeichnung führt derweil etwas in die Irre, man bekommt hier nämlich keine Unplugged-Version à la MTV, die Kraft des Songs geht auch akustisch gespielt nicht verloren.

Wer Neiges und Winterhalters Musik mag und über den Alcest-Tellerrand blickt, wird mit einem großen Output für so junge Musiker konfrontiert: Amesoeurs, Lantlôs und Mortifera gehören dazu, aber auch in jeder Hinsicht dunkle Kapitel. Neige und Winterhalter wirkten nämlich an den ersten musikalischen Gehversuchen von Peste Noire mit, einer NSBM-Band, also dem rechten Black Metal zugeordnet. Neige betont zwar, dass er inhaltlich nichts mit der Ausrichtung der Peste am Hut habe, arbeitet aber – wie Winterhalter – immer wieder mit den entsprechenden Musikern zusammen, etwa als Valfunde für eine Split-EP mit Amesoeurs. Sei es geglaubt, dass Neige und Winterhalter keine Nazis sind; Spiritualität an sich zumindest ist kein originär rechtes Thema, und Spiritualität – ohne Religionszugehörigkeit – ist das Hauptthema bei Alcest.

Diese limitierte Deluxe-Version von „Spiritual Instinct“ nun ist als Buch gestaltet, dem das Album als CD und als Doppel-LP in Steingrau beiliegt, und dazu als Bonus wie erwähnt die CD mit den drei Extra-Tracks. Schick!