The Messthetics – Anthropocosmic Nest – Dischord 2019

Von Matthias Bosenick (14.10.2019)

Die Leute, die damals den Hardcore miterfanden, gehen heute in ganz andere Richtungen als diejenigen, die sich davon heute inspirieren lassen: Auch auf dem zweiten Album von The Messthetics ist von der Extremvariante des Punk nur noch in homöopathischen Verhältnissen etwas auszumachen. Das Trio bewegt sich instrumental durch jazzinduzierten, partiell noisigen Indierock alter Schule, also gelegentlich recht nahe an dem Sound, den Fugazi erst gegen Ende ihrer Existenz auf die Hardcorehörer losließen. Was Wunder, sind doch zwei Fugazi-Mucker jetzt bei The Messthetics. Dieses zweite Album ist sogar noch experimenteller und aufregender als das Debüt.

Klar galoppieren The Messthetics auch mal los. „Drop Foot“, der zweite Track, hätte in Auszügen auch aus den Achtzigern sein können, wären da nicht abrupte Soundspielereien enthalten, die zwar mit der Gitarre erzeugt sind, aber starke orientalische Anleihen tragen. Klingt sicherlich widersprüchlich, aber wer hier auf die Fresse will, muss leidensfähig sein, denn auf die Fresse gibt es hier nicht, und wenn, dann nicht direkt. So geht also Erwachsenwerden im Hardcore.

Was außerdem bedeutet, dass man The Messthetics nicht an nur einem Track erkennen kann, denn alle klingen anders, haben andere Strukturen, andere Atmosphären, andere Schwerpunkte, andere Experimente. Manches hat beinahe poppige Sounds, manches klingt schwermütig-depressiv, manches wildert experimentell in dem herum, was die Instrumente so hergeben, manches geht in Richtung Postrock, manches in Richtung bluesgetriebenen Classic Rock, und so gut wie nie hält ein Track den eingeschlagenen Weg durch, meistens lässt das Trio Elemente einfließen, die man an der Stelle niemals erwartet hätte. Yes, that’s Jazz, und bisweilen sogar recht groovend.

Was Wunder: Mit Joe Lally und Brendan Canty sind Musiker an Bord, die vor 35 Jahren schon von Washington D.C. aus Musikgeschichte schrieben. Beide waren bei Fugazi, Lally als Bassist und Canty als Schlagzeuger, Canty zudem auch beim Vorläufer Rites Of Spring. Beide Musiker tragen nun schon seit langem das Label Post-Hardcore. Als Dritter ist Anthony Pirog dabei, der in halbwegs populären Kreisen bis auf seinen Beitrag zu Skysaw, der Band des zwischenzeitig geschassten Smashing-Pumpkins-Schlagzeugers Jimmy Chamberlin, nicht nennenswert in Erscheinung trat und der als Avantgarde-Gitarrist geführt wird. Also Post-Hardcore mit Avantgarde, das trifft den Sound von The Messthetics recht gut.

Der Unterschied zum Debüt lässt sich überdies erklären: Nach nur kurzer gemeinsamer Aktivität jammte das Trio den Vorgänger ein und ging danach auf ausufernde Touren. In dieser Folge entstanden die Tracks für „Anthropocosmic Nest“, und man hört deutlich, wie die drei in dieser Zeit zusammenwuchsen. Beide Alben sind gut, nicht dass da Missverständnisse aufkommen, aber es ist doch schön, wenn man Entwicklungen wahrnehmen kann.

Und wie es sich gehört, landete die Band bei einem vertrauten Label: Fugazi-Chef Ian Mackaye veröffentlicht beide Alben auf Dischord. Man will ja nicht gleich wieder damit anfangen, dass sich da etwas entwickeln könnte – Fugazi haben sich nie aufgelöst, sondern lediglich 2003 eine Pause eingelegt. Und Hoffende gibt es weltweit zahllose.