Zwei zu Eins – Natja Brunckhorst – D 2024

Von Matthias Bosenick (01.08.2024)

Einem Ausländer ist es trotz allen Nachlesens und Zeitzeugenzuhörens höchstwahrscheinlich nicht umfassend möglich, das Gefühl nachzuempfinden, das sich bei der Bevölkerung der DDR zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung einstellte, damals, im Hitzesommer 1990. Träume, Zukünfte, Ideologien, Ängste, Gewissheiten stehen infrage oder sind gleich komplett aufgehoben, ein plötzliches Leben zwischen Reisefreiheit und Arbeitslosigkeit macht es nahezu unmöglich, Pläne zu fassen. Fatalismus hilft als Motivator, wenn man plötzlich die Chance hat, der Vernichtung überlassenes DDR-Geld in die Finger zu bekommen und damit den Staaten ein Schnippchen zu schlagen. Aus der wahren Geschichte macht Natja Brunckhorst die Dramödie „Zwei zu Eins“ mit angemessen gebremstem Tempo, tollen Darstellern, guten Dialogen, schönen Bildern und einer überflüssigen Dreiecksgeschichte.

Vorwissen ist nötig, um „Zwei zu Eins“ en Detail zu verstehen, und selbst mit angeeignetem Wissen ist nicht sicher, dass man alle Feinheiten wirklich erfasst. Wie hier die straffällige Bevölkerung die Obrigkeit mit den eigenen Argumenten entwaffnet, herrlich – und auf eine Weise aus dem Leben, dass man Kenntnisse über das Vokabular und die Ideologie dahinter haben muss, um den Humor in aller Tiefe zu begreifen. Damit bildet Brunckhorst subtil ab, gestaltet im Grunde eine Geschichtsstunde, aber ohne Lexikonaspekte, dafür angenehm umfassend, weil hier viele Menschen zu Wort kommen, deren Vergangenheit, Inneres und Denkweisen man bisweilen lediglich mit einem spitzfindigen Kommentar offenbart bekommt, den man aber einzuordnen wissen muss. Wenn etwa ein Nachbar kriminelle Verdachtsmomente über einen anderen Bewohner dadurch entkräftet, dass er nachdrücklich „Nein, der nicht“ äußert, ahnt man, dass diese fundierte Kenntnis daher rührt, dass er IM war.

Die Grundgeschichte hinter diesem Film hat sich tatsächlich zugetragen, nur sind Details nicht mehr rekonstruierbar, was für sich wiederum schon eine bemerkenswerte Angelegenheit ist. In einem Schacht bei Halberstadt versenkte die DDR-Regierung das mittlerweile wertlose DDR-Geld, da der Umtausch in West-Mark zum titelgebenden Kurs bereits vollzogen war. Nicht ganz: Mit Ausnahmen ist es noch kurzfristig möglich, das vermeintliche Altpapier wertschöpfend in Umlauf zu bringen. Eine Gruppe von Nachbarn hebelt das Finanzsystem mit allerlei Ideen aus.

Kern sind drei Freunde, die – und dieser Aspekt trägt zur Handlungsentwicklung so gut wie gar nicht bei – auch noch amourös-eifersüchtig miteinander verbunden sind. Sie überzeugen einen aus dem Familienverbund verstoßenen und geheimnisvoll weitsichtigen NVA-Onkel davon, seine Tätigkeit als Wache in dem Schacht dafür zu missbrauchen, mit ihnen das DDR-Geld ans Tageslicht zu befördern. Was zunächst ein launiger Witz ist, nämlich Millionen auf dem Küchentisch herumliegen zu haben, entwickelt sich zur ungeahnten Geldquelle, als der erste West-Vertreter das eigentlich längst ungültige Ostgeld annimmt, weil er es noch, anders als die DDR-Bürger, umtauschen darf. So setzt ein West-Gütertransfer an den skeptischen Blicken des Abschnittsbevollmächtigten vorbei ein und die Beteiligten planen, diese Güter wiederum in Westgeld umzusetzen. Da aber immer noch Millionen im Schacht liegen, kommen sie auf die nächste Idee: Aus dem Ausland zurückkehrende DDR-Diplomaten haben eine verlängerte Umtauschfrist – und sind überraschend bereit, sich auf die Halberstädter Trickser einzulassen, die von dem Erlös den lokalen VEB übernehmen wollen. Ewig gut geht das indes nicht, es gibt interne Eigenmotivationen und versehentlich in die Öffentlichkeit gelangte Geldscheine, die nie für den Umlauf vorgesehen waren.

Geraubte Illusionen, zerstörte Träume bleiben besonders haften, da schluckt man sehr. Wenn der Ex-IM erkennt, dass das vorgebliche Rückgrat der DDR, nämlich der Metallstift, den sein VEB produzierte, für nicht mehr als Ikea-Regale Verwendung fand, brechen die Tränen aus ihm heraus, „wir wurden verkauft und verraten“. Nicht nur er verliert den Glauben an noch kurz zuvor gültige Realitäten. Gleichzeitig finden die kapitalistischen Neuheiten ebenso wenig Anklang, trotz aller ersehnten Vorteile; der Onkel etwa fühlt sich „in einer Schlange aus Schlangen“, als er behördlich vorspricht, um den VEB zu erwerben. Und wiederum gleichzeitig stellt genau diese unabwägbare Situation eine Chance dar, oder, wie es der Graffiti und Skateboard verehrende Teenager sagt: „Das ist die geile Zeit“, der leere Raum zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung, während der letzten Zuckungen der noch existierenden DDR.

Brunckhorst erzählt diese Geschichte in einem angemessen gebremsten Tempo, sie lässt den Figuren und den Entwicklungen Zeit. Sie filmt in sonnendurchfluteten Farben und findet auch in der heruntergekommenen Architektur noch Symmetrien und Strukturen, die als optisch beeindruckende Kulisse herhalten können. Sie verzichtet darauf, authentische Musik aus der Zeit einzusetzen, sondern bedient sich im Heute, indem sie vereinzelt moderne Songs spielen lässt und ansonsten dezidiert einen gefühlt kontrabassigen Score einsetzt. Der Film ist mit Musik nicht überfrachtet, die erste Klausequenz in den Schächten etwa kommt komplett ohne aus und wirkt eher trocken, wie überhaupt die Action eher behäbig inszeniert ist, was wiederum zum Film passt. Denn Brunckhorst nutzt nicht nur die lebensechten Dialoge, dargeboten überdies von einem – bis auf den schmierigen Westvertreter Olli Dittrich – rein ostdeutschen Schauspielerensemble, allen voran Sandra Hüller –, um die Geschichte zu erzählen, sondern auch mal wortlos ihre Bilder. Da sieht man auch darüber hinweg, dass man den Plänen der Gauner nicht immer sofort folgen kann und dass manche Schnitte etwas holprig sind.

Lediglich diese Dreiecksgeschichte mit Eifersucht und Vaterschaftsfragen stört etwas, zumal Brunckhorst sie auch noch als Plädoyer dafür nutzt, eine Beziehung zu dritt plus zwei Kindern zu führen; nix dagegen, sollen sie machen, aber es wirkt in diesem Umfeld wie ein Fremdkörper. Ansonsten ist „Zwei zu Eins“ mehr als sehenswert – und im Grunde ein Märchen, und zwar eines, das der Seele wohltut.