Von Matthias Bosenick (08.02.2023)
Mit beiden Beinen knietief irgendwo drinstecken, das erfordert zumeist einen gewaltigen Spagat, aber der fällt dem Trio Zoahr aus Pirmasens leicht: Die Jungs stecken nämlich mit einem Bein in den psychedelisch rockenden Siebzigern und mit dem anderen in dichten Rauchschwaden. Heraus kommt das live im Studio eingespielte „Apraxia“, das bereits zweite Album von Zoahr, und wie schon beim Debüt „Off Axis“ mag man nicht glauben, dass diesen fetten Stoner-Sound nur drei Leute erzeugen. Drin in dieser Tüte ist alles, was man so erwartet, und weil das ja schon bekannt ist, einfach noch einiges mehr: klassischer Siebziger-Hardrock, sich bei dem ohnehin bedienender Neunziger-Grunge, Wüstenblues, ein Ausflug in den Spacerock und was am Wegesrand noch so wächst. So retro, dass es in der Zukunft wieder rauskommt.
Was man macht, wenn man nur zu dritt ordentlich Druck auf den Bong kriegen will: den auf 11 gedrehten Bassverzerrer in die Garage stellen und, wenn möglich, aus mehr als nur einer Kehle singen. Die Songs dazu sind oft genretypisch im bluesigen Dreiverteltakt gehalten, dazu gniedelt und spacet die Gitarre. Heraus kommt aber mitnichten ausschließlich Stonerrock, dafür haben das All und die Wüste, in die Zoahr wechselnd abspacen, zu wenige Grenzen, und außerdem ist zu viel Druck auch gar nicht gut für die Rübe. Also drosseln die drei Musikanten bisweilen das auf „Off Axis“ noch eher hoch angesetzte Tempo und lassen den Songs auch mal die Zeit, die sie brauchen, um sich zu entfalten. Dann kehrt etwas Ruhe ein, jeder der drei vertieft sich in sein Instrument, es entstehen traumwandlerische Soundlandschaften, in denen man sich gern umhört und dabei dann viele Details entdeckt.
Was der Bass allein immer so vor sich hin am tirilieren ist, was die Gitarre für Melodiebögen in den Himmel zaubert, was das Schlagzeug inmitten langer Strecken für Kapriolen schlägt! Dann reduziert das Trio auch den Gesang, der klar die chillige Musik begleitet. Bis es aber auch wieder gut ist, die Band alle Regler aufdreht und dem ordentlichen Gedröhn fröhnt. So entsteht ein dynamisches Album, das sich aufgrund der vielzähligen Ausdrucksmöglichkeiten der Band nicht eindeutig kategorisieren lässt, und das ist genau richtig so.
Natürlich kann niemand mehr das Stonerrad neu erfinden, so kommt es eben auch dazu, dass man sich beim Hören von „Apraxia“ hier und da an vertraute Vorbilder erinnert fühlt, und die sind zwangsläufig so divers, wie es die Musik hier ebenfalls ist: frühe Monster Magnet, etwas Kyuss, viel Led Zeppelin, fröhlichere Black Sabbath, ein Schatten von Hawkwind, leicht Soundgarden, um nur die bekannteren Beispiele zu nennen. Ein Grund für dieses weite Spektrum liegt sicherlich auch in den vorherigen und parallelen Aktivitäten der Musiker Jessie S., Thorsten W. und Philipp D. begründet: Nekkromaniac machen Death und Black Metal, was wohl die größte Distanz zu Zoahr darstellen dürfte, der Postrock von Ampersphere findet hingegen sehr wohl Einzug in den Zoahr-Sound, mit Colaris probte Sänger und Gitarrist Jessie Schmidt bereits das psychedelische Spannungsfeld aus Sludge und Postrock, mit Enraged By Beauty hingegen einen progressiven Hardcore. Klingt danach, als sei die Südpfalz rund um Pirmasens und Zweibrücken mit einer überaus entdeckenswerten Musikszene beschenkt.
Was nun der Bandname Zoahr bedeuten mag, lässt das Trio offen; bei dem Wort Zohar, also mit Buchstabendreher drin, handelt es sich um ein Buch der Kabbala, das im Hebräischen auch als geschlechtsneutraler Vorname Verwendung findet und „Glanz“ bedeutet. Also hier Glnaz. Bei der Apraxie aus dem Albumtitel handelt es sich um eine Störung im Gehirn, die zur Bewegungsunfähigkeit führt; diese meint das Trio hier jedoch nicht, sondern überträgt sie auf eine Gesellschaft, die sich nicht rührt, um gegebene negative Verhältnisse zu verändern, und derer nennt die Band zahllose. Auffällig ist dabei, dass es Zoahr im Stream – und gleichzeitig physisch – ausschließlich bei Bandcamp gibt. Hier lohnt es sich, seine Apraxie zu überwinden und sich „Apraxia“ zuzulegen – und sich dazu zu bewegen, das geht durchaus!