Von Matthias Bosenick (01.11.2024)
Eine äußerst verheißungsvolle Melange: Hoel Von Helvet, aus dem Norwegischen übersetzt quasi Ferse der Hölle, ist der Name des Protagonisten hinter dem Projekt Yeun Elez, das nach einem bretonischen Whisky mit Rauch- und Torf-Aroma benannt ist, halt, nein: nach einem Sumpfgebiet in den Monts d‘Arrée, das in der lokalen Mythologie der Eingang zur Hölle ist, mit der hat er’s offenkundig, und außerdem ist dieser französische Musiker auch als Grafiker und Holzschnittkünstler tätig, was er auch für die Cover seiner musikalischen Veröffentlichungen nutzt. „La croix des cinq chemins“ ist die jüngste, sie behandelt bretonische Mythologien, dargeboten in einer abgedunkelten musikalischen Vielfalt zwischen der schamanischen Trance von Dead Can Dance, mittelalterlicher Monotonie, gekrümmtem Wave-Goth sowie Industrial-Noise, alles davon unter Umgehung üblicher Klischeefallen.
Jener Hoel Von Helvet ist gebürtiger Bretone, deshalb liegen ihm Themen aus der Gegend wohl nahe, und die Bretagne bietet an Mythologien, Sagen und Übernatürlichem eine gigantische Auswahl, in Kombination mit der urtümlichen Landschaft und der steinernen Architektur ergibt das eine attraktive Basis für eine musikalische Auseinandersetzung. Mit rasselndem Shaker, Tabla-artiger Percussion und einer reduzierten Melodie eröffnet das Titelstück das Album, etwas Vogelgezwitscher ist zu hören und Von Helvet murmelt seinen auf Französisch gehaltenen Text dazu, wie er es beinahe das gesamte Album über vornimmt. Der Gedanke an eine trockene Variante von Dead Can Dance und deren Trancetracks kommt auf und verstärkt sich noch im zweiten Song „Le mirage“, in dem das Rasseln zunimmt und der Rhythmus auf Töpfen geschlagen zu sein scheint. Ein schamanischer Trace-Groove stellt sich ein.
Und bricht mit „La mémoire de nos pères“ wieder ab, das mit minimalistischem Streicher-Zupfen einen anderen Weg einschlägt, kombiniert mit teils opulenten Soundcscape-Loops und einem rhythmischen Klackern. In Richtung Wave-Gothic blickt „La descente“, mit Orgel, Industrial-Percussion-Sounds und leicht schrägen Tönen. Mit kratzigen durcheinanderwirbelnden Streichern beginnt „Gwerz ar garnel“, „Garnelenverkauf“, und hier ist erstmals auf diesem Album richtiger Gesang zu hören. In „La mort du roi“ ebenfalls, aber wieder monotoner, wie ein Ritual-Gesang, der sich über die Industrial-Sounds und die Oboe legt. Der Song ist dunkel und tanzbar.
Aus Noise und Drones, aus Lärm gar besteht „La lune rouge“, aus dem sich ein langsamer Rhythmus herausarbeitet, mit schwankenden Tonhöhen und Intensitäten, und darin eingebettet, beinahe verschwunden erklingt eine verzerrte stimme. Zum Ende leiten Glockenläuten und eine Flöte über zu „Notre dame de bon secours“, das man beinahe als Mittelalter-Synthiepop auffassen kann. Der Song steigert sich in analoge Schlaginstrumente hinein und läuft in einem Dudelsack-Pandämonium aus. Dem abschließenden „L’empoisonneuse (Le serpent verde)“ merkt man nicht an, dass es über neun Minuten lang ist: Mit Glockenschlägen und einem Mönchschor beginnt das Lied, Von Helvet singt rauh und knarzig wie Mark Lanegan, eine Hurdy Gurdy und ein mittelalterlicher Rhythmus übernehmen, zuletzt kratzen die Streicher wieder und eine Schar Haustiere geleitet die Hörenden zurück in die Realität.
Zwar bedient sich Von Helvet hier vertrauter Sounds aus vertrauten Genres, doch ordnet er sie nach eigenem Regularium an und kreiert wahrhaftig einen Soundtrack zur bretonischen Mythologie, der jener würdig ist, zudem gleichsam zugänglich wie unangepasst. Geboren in der Bretagne, arbeitet der multimedial ausgerichtete Künstler inzwischen von Brüssel aus. Außer als Hoel Von Helvet und Yeun Elez ist oder war er auch bei Projekten mit so klangvollen Namen wie Yersinia Pestis und Techno Thriller beteiligt. Da gibt es noch einiges zu entdecken! Bewusst wahrzunehmen sind auf diesem Album übrigens nicht: der Ankou und das Dorf der Unbeugsamen, da hat die Bretagne noch weit mehr zu bieten.