Von Matthias Bosenick (13.06.2018)
Man muss wohl dabeigewesen sein oder noch heute gern Pilze essen, um das Werk von Bernd Witthüser und Walter Westrupp uneingeschränkt feiern zu können. Hervorgegangen aus der Essener Folkloreszene, schoben die Liedermacher ihre Lieder bald ins Psychedelische, musikalisch wie inhaltlich. Die Umdeutung der Bibel zum Brösel als göttlichem Funken war eine beinahe logische Konsequenz, der Erfolg dafür umso überraschender. Die Generalprobe zur Uraufführung dieses Evangeliums aus dem Jahr 1971 legt Sireena nun als Live-CD vor. Heute wundert man sich über diese Mischung aus Krautrock und Klimbim.
Für Progrog zu albern, für Comedy zu versponnen, und doch bündeln Witthüser & Westrupp beide Elemente in ihrem Jesuspilz. Nüchtern betrachtet geht das Experiment nicht so recht auf. In Sachen gesungenes Kabarett gab es damals tatsächlich die Tendenz zum Nonsens, zur Albernheit; Ende der Sechziger und Anfang der Siebziger waren Bewegungen dieser Art in Deutschland indes noch neu, da bot sich allen eine riesige Experimentierwiese an, von Ingo Insterburg & Co über Otto Waalkes und die Gebrüder Blattschuss bis Torfrock. Die witzbefreiteren Barden dieser Zeit trugen sozialkritische oder kämpferische Lieder vor, allen voran Franz Josef Degenhardt und Hannes Wader sowie dessen Mitbewohner Reinhard Mey. Sie alle loteten die Möglichkeiten der Sprache mit unterschiedlichen Ausprägungen aus, von bierernst bis bierselig. Witthüser & Westrupp hingegen wollten lieber Pilz als Pils.
Man hört den beiden an, wie sehr sie sich über ihre eigenen Einfälle freuen. Damit verstoßen sie gegen ein ehernes Gesetz des gelungenen Witzes: Nimm ihn ernst, sonst wirkt er albern. Man kann natürlich zustimmend feststellen, dass ihre im Ansatz schon recht unlustige Bibelumdeutung immerhin recht kreativ gelungen ist, aber sobald man das Konzept erfasst hat, ist der Witz erzählt, dauert aber noch eine halbe Stunde. Es wird folglich mühsam, dem göttlichen Brösel sowie Jesus und seinen „Jungs“ im Drogenrausch zu folgen.
Musikalisch nicht minder. Dem Duodasein und der Folklore als Basis geschuldet ist der Sound für Psychedelik etwas dünn, wenngleich es kompositorisch sehr eindeutig ins All oder andere erweiterte Sphären geht. Akustikgitarre und allerlei Percussion, dazu Tröten, Flöten, Orgeln und was sich noch in Griffnähe befand kommt zu Einsatz. Hübsch versiert und auf den Punkt eingesetzt, aber dudelig, ausufernd, willkürlich, alsbald gar enervierend.
Natürlich muss man diesen Mitschnitt als Zeitdokument werten und mit Blick auf die Geschichte sogar ins Museum stellen. Witthüser & Westrupp waren schon einige Jahre zusammen unterwegs und sangen auf dem klassisch dafür vorgesehenen Label Ohr veröffentlichte Lieder über Vampire, Nonnen und Tote (noch als Witthüser solo) sowie über Joints und Trips, bis ihnen das Buch „Geheimkult des Heiligen Pilzes“ von John Marco Allegro in die Hände fiel. Der Brite deutet darin die Schriftrollen von Qumran dahingehend um, dass das Christentum auf dem Genuss halluzinogener Pilze basiert. Dies und die Jesus-People-Bewegung beeinflussten W&W zum Album „Der Jesuspilz – Musik vom Evangelium“, auf dem Ohr-Sublabel Pilz veröffentlicht. Nicht alle dafür komponierten Stücke erscheinen darauf, „Vision I“ etwa erst auf dem Folgealbum „Bauer Plath“, anderes gibt es nur live zu hören. So auch auf diesem Mitschnitt, der wiederum seinen eigenen historischen Wert hat: Er stellt die Generalprobe im Jugendzentrum Essen dar, vor dem ersten Auftritt in den Essener Apostelkirche. Erschreckenderweise kam der so gut an, dass das Duo den Quatsch in noch 100 weiteren Kirchen aufführen durfte. Außerdem ist dieses Live-Album eine Art Vermächtnis: Witthüser starb 2017.