Von Matthias Bosenick (21.10.2024)
Das geht zurück in eine andere Art von Neunziger: Noiserock, Stop-And-Go-Riffs, vereinzelt schöne Melodien in Lärm eingebettet, Bock auf geordneten Krawall, übersteuerte Saiteninstrumente, saftiges Schlagzeug, beiläufiger Gesang, unkonventionelle Songstrukturen, alles, wie man es sich wünscht, wenn man auf Sonic Youth, 13th Dye und andere energetische Noiserocker steht. Wer zusätzlich etwas außerhalb dieser Schublade haben möchte, bekommt zuletzt zwei Songs mit Amaury Cambuzat, der das Veroneser Trio We Fog in andere Bahnen lenkt, strukturell und die Atmosphäre betreffend. „Sequence“ ist erst das zweite Album von We Fog, mit 21 Minuten zwar kurz, aber intensiv geraten.
Spröde, sperrig beginnt „Sequence“ mit „A Father’s Love“, und man liebt es sofort. Das Trio rotzt den Song heraus, energetisch nölend, riffrockend, man begibt sich aus dem Stand auf eine Zeitreise in den experimentellen Noiserock der Neunziger. Bei dem We Fog nicht stehenbleiben, im folgenden „Rise To The Sky“ exerziert es das Stop-And-Go, wie man es von Helmet kennt, also abermals Neunziger, aber andere Schublade, indes kombiniert mit der ersten. Und einem unerwarteten Akustikgitarren-Klampf für wenige Sekunden. „Kind Warrior“ überrascht dafür mit einer wohligwarmen Melodie, mit schönen Akkorden zu gemäßigter Rockmusik und gesprochenen Texten. Das Stück lehnt mehr am Post Punk, am Wave Rock beinahe, bis die Band beschließt, es in den Noiserocksound zu integrieren und beide Seelen abwechselnd zu vertiefen. Und dann noch die in den rotzigen Lärm eingebetteten Aah-Chöre!
Leicht angeschrägt und dreckig rockend bleiben auch „Meat Without Feet“ und „Trees“, bis We Fog entscheiden, einen alten Rockhelden ins Boot zu holen: Amaury Cambouzat verfeinert „No Land For Hope“ und „Timex“. Da verändert sich plötzlich die Atmosphäre: Ersterer Song fadet langsam ein, führt sich wie ein balladesker Indierocksong mit geflüsterten Vocals und fetten Drums auf, bis für den Refrain die Gitarre hereinbricht, ohne dass der Track an Tempo zulegen würde. Chorartige Soundscapes knüpfen einen weiteren unkonventionellen Teppich in solche Musik. Der letzte Song galoppiert rhythmisch wie ein stures Pferd, und eine Kapelle und ein kleiner Chor versuchen, die aus dem Ruder gelaufene Zirkusnummer zu retten. Gelingt ihnen nicht, und das ist gut so.
„Float“, das erste Album von We Fog, hat bereits sieben Jahre auf dem Buckel und ist bei gleicher Anzahl Songs – nämlich sieben – gerade mal 15 Minuten lang. Das Trio besteht aus Donato Fusco (Gitarre und Lead-Gesang), Giulio Corradi (Schlagzeug und Gesang) und Victor Bittencourt (Bass und Gesang). So richtig viel ist über die Musiker nicht herauszufinden, lediglich, dass Fusco und Corradi We Fog vor exakt neun Jahren als Duo gründeten und erst im Folgejahr, vor dem Gang ins Studio, Bittencourt hinzuholten, um dem Sound von Steve Albini auf „Float“ und eben nun auch auf „Sequence“ nachzuspüren. Für dieses zweite Album verpflichtete das Trio zudem mit Cambuzat einen altgedienten Experten, der 1993 in Paris die Rockband Ulan Bator gründete, seit den Nullern bei einer der viele Post-Inkarnationen der Krautrocker Faust mitmacht, nämlich dem FaUSt-Arm mit Jean-Hervé Peron und Werner „Zappi“ Diermaier, nicht der Faust mit Joachim Irmler, sowie mit weiteren Bands assoziiert ist. Bei dem wunderbaren Ergebnis ist die Kürze des Albums beinahe ein Kritikpunkt, aber andererseits – hört man’s halt öfter!