Von Onkel Rosebud
Um es vorwegzunehmen, dieser Text wird darauf keine befriedigende Antwort geben. Da meine Freundin sich das fragt, wie eigentlich Lars Eidinger als Mensch ist, wenn keiner zuguckt, frage ich mich und dann sie, wieso sie sich das fragt, und kriege zurück, ich wüsste schon: Dieser Schauspieler, der für seine Rolle als Hamlet an der Berliner Schaubühne berühmt wurde, auf Anregen von Gregor Gysi auf einem Bravo-Poster landete, in den ganzen Deichkind-Videos mitspielte und auf Insta immer so artsy-fartsy Sachen macht, wie die Tristesse von Hotelzimmern zur Schau zu stellen. Lars Eidinger sei Kult.
Ich konterte lieblos, Herr Eidinger ist Erstunterzeichner des in der Emma veröffentlichten Offenen Briefs an den Bundeskanzler vom 29. April 2022, der sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht. Er hat eine 550 Euro teure Designertasche entworfen, die aussieht wie eine Aldi-Tüte, und für die dazugehörige Kampagne posierte er vor Schlaflagern von Obdachlosen. Was für ein Lappen und alles andere als kultig.
Nun kam, was kommen musste, meine Freundin äußerte lautstark die Vermutung, ich hätte keine Ahnung. Der Lars ist vielleicht einer der besten Schauspieler unseres Landes, ach, Schauspieler wäre eine Untertreibung, er ist ein Künstler. So wahrhaftig. Gut, manchmal etwas anstrengend, aber immerhin interessant und außerdem nebenbei auch noch DJ. Das müsste mir doch gefallen.
Damit holte sie mich aus der Komfortzone. Mit etwas erhöhtem Puls erwiderte ich, seine Partyreihe nennt sich „Autistic Disco“, aber nicht etwa, weil er selbst autistisch ist. Lars fucking Eidinger ist ein privilegierter, weißer Schauspieler-Arsch, der sich an prestigelastigen und elitären kulturellen Einrichtungen Deutschlands der Lebensrealitäten anderer Menschen bedient, um daraus Profit zu schlagen. Obdachlose und Menschen mit Autismus haben jeden Tag mit Diskriminierungen zu kämpfen und brauchen niemanden, der sie inszeniert. Außerdem muss er dringend mal zum Friseur, weil diese Alpaca-Frisur geht überhaupt nicht.
Als meine Freundin darauf meinte, „Ach, der provoziert doch nur. Und macht so auf Probleme aufmerksam“, machte ich drei Klicks und zeigte ihr ein Interview von 2013, in dem Eidinger behauptet, Frauenfußball sei „ein Fall für die Paralympics“. Damit hätte der Fall von meiner Seite aus erledigt sein können, aber nicht für meine Freundin. Ihr Nachspiel dauerte 53 Minuten und bestand aus einer Doku aus dem Jahr 2023 „Lars Eidinger – Sein oder nicht Sein“ auf unserem Heimatsender arte. In dem Filmportrait begegnet der Regisseur Reiner Holzemer dem Künstler, ja nicht dem Schauspieler, vorurteilsfrei. Man kann ihn bei den Proben für Jedermann in Salzburg, für Hamlet und Richard III. an der Berliner Schaubühne und bei Dreharbeiten in Paris zuschauen – mit intimen Einblicken in seine Arbeitsweise. Das war ziemlich überzeugend, dass ich ihm doch keine Vasektomie wünsche.
Und meine Freundin hat eine Antwort auf ihre Eingangsfrage gefunden: Wenn er spielt, ist er er selbst.
Onkel Rosebud
