Von Onkel Rosebud
Ich habe festgestellt, dass ich das Wort Hass inflationär benutze, um eine Abneigung zu beschreiben. Meine Freundin mag das nicht. Sie lehnt jede Form von Radikalisierung ab und findet, Hass ist ein gewagter Ausdruck und vergiftet die Seele. Mit dem Hass ist es aber eine seltsame Sache. Ich wiederum neige nicht nur ab und zu zur Übertreibung, sondern habe bei dem Thema auch kognitive und psychologische Tendenzen in Richtung starker emotionaler Antworten. Am deutlichsten zeigt sich das im Straßenverkehr. Lahmarschiges Anfahren von Teilnehmern an Ampeln mit kurzer Grünphase oder die Parkplatz-Anfahrsituation: Ein Sucher fährt langsam in der Mitte der Straße und blinkt nicht, bevor er (meistens ein Er) einparkt. Um dann zwei Parkplätze gleichzeitig auszufüllen, oder, oder, oder. Das bringt mich zur Weißglut und lässt mich Beleidigungen brüllen.
In so einer Situation im Auto drückt meine Freundin gern kurz am Endgerät und lässt den Song „Wohin mit dem Hass“ abspielen. Der ist von Jochen Distelmeyer, aus seinem ersten Soloalbum nach Blumfeld namens „Heavy“ (2009). Wohin mit dem Hass, den ich in mir spür? Frisst sich wie Rost nach innen. Alles, was ich weiß, ich bin nicht wie ihr. Aber wohin mit dem Hass? Dabei weiß sie ganz genau, wie ich es hasse, daran Anteil genommen zu haben, wie der beste und oberste Diskursrocker unseres alternativen Landes über den „Apfelmann“ zum Gitarrenlehrer wurde. Das Lied löst in mir so eine „Am Tag als Conny Kramer starb“- oder „Sag mir wo die Blumen sind“-Aggression aus. Bei der Zeile Komm mit all dem Misstrauen, das du hegst, und macht etwas schönes kaputt, spüre ich, der Hass verlangt nach Taten.
Wut kann verrauchen, Hass bleibt haften. Psychiatrisch gesehen ist Wut ein allgemeines Gefühl, eher eine Stimmung. Hass ist auf ein ganz bestimmtes Objekt gerichtet, in der Regel auf eine Person, zum Beispiel auf Jochen Distelmeyer. Wie konnte es passieren, dass der Mann, der mit Songs wie „Verstärker“ oder „So lebe ich“ den Soundtrack meiner Menschwerdung auf den Punkt gebracht hat, so ein beschissenes Buch wie „Otis“ (Verlag: Rowohlt) geschrieben hat. Warum habe ich es überhaupt gelesen? Obwohl ich schon mehrfach enttäuscht von ihm war. Also, wohin mit dem Hass?
Wenn ich diese sehr starken, negativen Gefühl der Aggression ausdrücken kann, fühle ich mich besser, weil ich mich abgrenzen kann, und weil ich mich der besseren Seite zugehörig fühle. Aber sollte ich „unserem Jochen“ nicht einfach nur dankbar sein für die Blumfeld-Alben „Ich Maschine“ und „L’état et moi“? Weil sie mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort berührten? Sollte ich. Leider ist es einfacher, in Verteidigungshaltung zu gehen, als eigene Annahmen zu hinterfragen.
Meine Freundin hat natürlich recht. Jede Form von Radikalisierung, und sei es wegen Idolen, deren Weiterentwicklung man nicht mehr nachvollziehen kann, gilt es zu vermeiden.
Also gebt mir euren Hass und seht mir zu, wie ich ihn für euch verwandle. Wenn ich fertig bin, lass ich euch in Ruh′. Alleine mit eurem Hass.
Onkel Jochen Rosebud Distelmeyer