Von Onkel Rosebud
Meine Freundin nervt, dass ihre popkulturellen Helden andauernd sterben. Das ist ihr früher gar nicht mal so aufgefallen, es passiert allerdings ständig. Wobei, gestorben wird immer. Das gilt nicht erst seit der Fernsehserie „Six Feet Under“. Klar, es liegt am Alter, weil fortschreitend die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ende und dem Tod an sich beginnt und dafür die Wahrnehmung insgesamt steigt.
Mein Interesse am Tod der anderen startete vor etwa acht Jahren. Im Jahr 2012 segnete nicht nur die Gurkenkönigin (gespielt in der 327. Folge des Polizeirufes), Susanne Lothar, das Zeitliche, sondern so richtig unvorbereitet traf mich das Ableben des Schauspielers Günther Kaufmann. Der spielte unter anderem den Schrecklichen Sven, den Antagonisten von Wickie. Und das ganz faszinierend. Es gab damals ein Bonusmaterial auf der DVD, die zeigte, dass er bei den Dreharbeiten beinahe wirklich ertrunken wäre. Das hat mich bis heute traumatisiert.
Ein Jahr später starb Jakob Arjouni, ein Schriftsteller, von dem ich alles gelesen habe, ohne mir darüber klar zu sein, dass er quasi zum erweiterten Familienkreis unserer Dortmunder Freunde gehörte. So richtig kalt erwischt hat mich der 27.10.2013. An dem Tag unterlag Lou Reed den Folgen einer Lebertransplantation, was mich damals bewog, sein völlig unhörbares Epos „Metal Machine Music“ komplett im Ganzen, ohne jegliche Ablenkung zu hören.
Ein weiteres Jahr drauf machte mir der Serientod von Matthew Crawley (der wunderbare Dan Stevens in der Weihnachtsfolge von „Downton Abbey“, 2012) zu schaffen und nötigte mir eine Liste der Lieblingstode von Figuren in Film und Fernsehen ab: Neben Ellie (Oben), Winnetou, Wolverine (Logan), Jane Margolis (Breaking Bad) und Dobby (HP7.1, ein freier Elf) steht da unangefochten Tony Stark (Avengers 4: End Game) ganz oben. Ich habe den Film mittlerweile x-mal gesehen und trotzdem öffnen sich mir immer noch patellarsehnenreflexartig die Augenschleusen, wenn er seine letzten Worte haucht: „Aber, ich bin Iron Man“.
Über die Jahre halte ich es nun mit Yoda aus Star Wars: „Der Tod ein natürlicher Teil des Lebens ist. Frohlocke und jauchze für diejenigen in deiner Nähe, die zur Macht übergehen.“ Aber ich habe so einiges verkraften müssen: Lemmy, David Bowie, Prince, Leonard Cohen, Alan Rickman, Roger Willemsen, Mark E. Smith, Marc Hollis, Scott Walker, Wiglaf Droste (um nur mal einige männliche Ex-Protagonisten zu nennen).
Nun ist das alles nichts im Vergleich dazu, wenn wirklich jemand von mir gehen würde, den ich liebe. Und ich mag da lieber nicht drüber nachdenken. Allerdings fürchte ich mich richtig vor dem Augenblick, wenn mich die Nachricht ereilt, dass Nick Cave gestorben ist. Ihn halte ich für den größten, lebenden Künstler auf unserem Planeten. Der müsste schon in die AfD eintreten, damit ich ihn abweise. Von Nick Cave habe ich alle Alben auf Vinyl, ich habe alle seine Bücher gelesen, sogar „And The Ass Saw The Angel“, seine „Metal Machine Music“. Meine Lieblingsplatte mit den Bad Seeds ist „The Good Son“. Davon ist „The Weeping Song“ meiner bescheidenen Meinung nach der absolute Höhepunkt. 1994 in Glastonbury habe ich ihn und Blixa Bargeld, damals noch mit 20 Kilogramm weniger Körpergepäck, das Lied live vorgetragen gesehen. Ein magisches Erlebnis. Im Jahr 2015, als sein 15-jähriger Sohn Arthur an den Folgen eines Sturzes von der Klippe im Royal Sussex County Hospital seinen Verletzungen erlag, waren wir in Brighton im Urlaub, quasi um die Ecke. Das habe ich nicht unter Zufall eingebucht.
Was mache ich nur, wenn er stirbt? Dass er sterben wird, ist ja im Grunde unausweichlich und er wird es altersbedingt vermutlich vor mir tun. Ich werde mir wohl dann (noch) einmal den Film „One More Time With Feeling“ (von 2016) ansehen. Darin gibt es eine Szene, die so schön lakonisch seine Eitelkeit dokumentiert: Er sagt, dass während er schläft, seine Frau immer das Haus umräume – und das Fernsehzimmer morgens auf einmal das Esszimmer sei. Ein Freund von ihm habe aus ähnlichen Gründen schon die Möbel am Boden festgenagelt. Gute Idee, eigentlich. Wo sind die Nägel? Den Hammer habe ich immer dabei.
P.S.: Dieser Text erschien zuerst im Buch „Various Artists – Ich Liebe Musik Vol. 2“ (2020, Windlust Verlag) und wurde von Onkel Rosebud über „The Weeping Song“ von Nick Cave And The Bad Seeds geschrieben.