Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Seelenmusik: Tindersticks

Von Onkel Rosebud

Als 1993 das erste Album der Tindersticks erschien, steuerte Britpop auf seinen Höhepunkt zu. Aber die Band aus Nottingham lebte in einer anderen Welt. In dreiteiligen, grauen Anzügen standen die jungen Männer, die damals schon Musik von älteren Herren machten, auf der Bühne und pflegten in ihren Songs eine langsame, düstere Romantik. Das ist nicht als Beleidigung gemeint. Tindersticks steht für Musik von reifen Herren, die gelernt haben, zu reflektieren, zu horchen, zu fühlen und den Zweifel, auch an sich selbst, zu kultivieren. Es ging ihnen immer um Atmosphären und imaginäre Räume, in denen sich Sehnsucht, Trauer, manchmal auch Glück und Hoffnung entfalten können. 

Meine Freundin kann das nachvollziehen, aber schließt sich mir nicht an, dass Stuart Staples’ brüchiger, anrührender Bariton auch das Braunschweiger Telefonbuch vorsingen könnte und man würde trotzdem mit ihm leiden, wenn seine dunkle Stimme bis an die Grenze des Unschönen vibriert. Nicht zuletzt Staples‘ Gesang verdanken Tindersticks ihren charakteristischen Sound. Der würdevolle, aber auch immer etwas windschiefe Mann wirkte von Anfang an wie irgendwie aus der Zeit gefallen.

„Curtains“ (Mercury/SPV, 1997), das dritte Studioalbum der Band, ist die Lieblingsplatte meiner Freundin. Wegen der Britishness. Ich finde ja die beiden davor, die witzigerweise gleich „Tindersticks“ heißen, noch besserer. Doch der letzte Song auf „Curtains“, „A Marriage Made in Heaven“ mit Isabella Rossellini, ist wahrlich unübertroffen.

Während andere Bands in der großen Britpop-Party ausgebrannt sind, haben sich die Dandys aus Nottingham zu einer Art musikalischem Kunstprojekt entwickelt. Sie bringen durchaus auch im fortgeschrittenen Alter noch große, gemächlich-schwere Popsongs zustande, die einladen, sich darin zu verlieren.

Tindersticks haben sich nie irgendwelchen Trends angepasst. Änderungen in ihren insgesamt 13 Alben ließen sich nie in der Grundstimmung, sondern eher in der Arbeitsweise feststellen, mal schienen die Songs etwas schroffer, mal spielten sie mit Jazz-, mal mit Blues-Elementen.

Die Musikseite Pitchfork hat einmal festgestellt: „Tindersticks haben noch nie ein schlechtes Album veröffentlicht.“ Das ist korrekt und was auch gilt – trotz einiger Auf und Abs sowie diverser Label-Wechsel: Ihre intimen, expansiven Stimmungslieder graben sich über die Jahre immer tiefer ein. Gerade in dunkler Jahreszeit.

Onkel Rosebud