Was meine Freundin gerne hört – die Musikkolumne: Meine Plattensammlung

Von Onkel Rosebud / Sascha Greinke

„Alle Künste streben die Musik an …“, habe ich neulich irgendwo gelesen. Muss ein kluger Mensch gewesen sein, der diese bedeutungsschweren Worte verfasst hat. Dieser Satz trifft für mich nur bedingt zu, da ich mir aus meinem kleinen Horizont gar keine abschließende Beurteilung zutraue. Film und Musik sind die Künste, die mich ansprechen, vereinnahmen, mir mehr geben, als vielleicht gesund ist. Da Film sehr abstrakt und dazu noch schwerer zu archivieren ist, bleibt die heimische Plattensammlung, um Reisen anzutreten. Reisen in fremde Länder, unbekannte und ach so bekannte Welten, oder, vielleicht am häufigsten, in die eigene Vergangenheit.

Ich habe nie Tagebuch geführt. Brauche ich auch nicht. Ich sammel Platten. Erst Singles, dann LPs und schließlich – dem Fortschritt wollte ich mich nicht ewig verweigern – CDs. Alle diese Tonträger haben für mich eine fast mystische Bedeutung. Ich stecke immer noch so tief in der Musik, dass sie in mir die schönsten und traurigsten Erinnerungen abrufen kann. Besser, als es ein Fotoalbum je könnte. Die Musik lässt den dazugehörigen Gehirnfilm ablaufen. Es tauchen Orte, Empfindungen und Personen aus meinem Leben auf, an die ich ohne diese Platte nie wieder einen Gedanken verschwendet hätte.

Meine Plattensammlung ist meine Zeitmaschine, die mir Orte und Zeiten wiederbringt: London – Panic, Köln – Here, Amsterdam – Freak Scene. Sie ist aber auch meine Emotionsmaschine: Trauer – Here Comes A Regular, Taillights Fade. Freude – Starsign, Dieses gute wilde Leben. Beziehungen – Must I Paint You A Picture, How Deep Is Your Love. Ärger – White Light/Wight Heat, Territorial Pissing. Alles abrufbar. Wann und was ich von ihr will. Sie ist mir Ideengeber, Trostspender und Mahner in einem.

Mein Filmarchiv kann mir schöne Stunden schenken, ohne Zweifel. Aber was ist eine lange, gefühlvolle, nahezu perfekte Kamerafahrt auf einem kleinen Fernsehbildschirm wert? Der Genuss wird eingeschränkt. Eine Platte habe ich so lieben gelernt, unverfälscht. Sie hört sich immer so an wie bei diesem einzigartigen ersten Mal. Sie altert nur mit einem. Das Rumpeln und Rauschen wird lauter, erinnert aber gleichzeitig an die Zeitspanne, die man schon miteinander glücklich ist. CDs rumpeln und rauschen zwar nicht mit dem Alter, aber welche pure Schönheit auf einem simplen Abspielbetrieb vermitteln die Platten von Seam, Built To Spill, BMX Bandits, Afghan Whigs, Lemonheads, Beautiful South oder den Archers Of Loaf? Das schaffen meine Heimvideos leider nicht.

Meine Bücher sind toll. Das auf dem Papier geschriebene Wort ist immer noch ein tolles Medium, aber was sind die besten Kurzgeschichten gegen eine dreieinhalbminütige Superchunk-Single? Diese Dynamik kann ein blanker Text nicht leisten. Die schönsten Liebesgedichte – wobei ich anmerken muß, daß ich der Lyrik, ähnlich wie dem Free-Jazz, nicht sonderlich zugetan bin – reichen auch nicht nur annähernd an die Liebeslieder von Teenage Fanclub heran.

Über Musik – professionell – zu schreiben, ist der größte Unfug. Musikzeitschriften versuchen auf journalistisch möglichst perfekten Level – also so objektiv wie möglich – Musik nahezubringen und zu analysieren. Musik erzeugt Emotionen. Sie sind einmalig und einzigartig. Sobald dies geändert und gleichgemacht wird, geht viel kaputt. Es sollte nur noch Fanzines geben. In denen Fans für Fans schreiben, ohne Rücksicht auf Formalitäten und ökonomische Zwänge. Das wäre ehrlich und glaubwürdig.

Prosatexte wie „Ich verabscheue Euch wegen Eurer Kleinkunst zutiefst“ über Musik sind auch ein heikles Thema. Greil Marcus und John Savage sind gut. Sicherlich. Aber kommen sie mit ihren schön formulierten Texten in den Bereich ihres Themas? Nein! Sie schreiben halt nur über Musik. Mehr nicht. Nick Hornby hat es vielleicht noch am besten geschafft. Aber auch nur, weil er viel lieber eine LP aufgenommen hätte.

„Alle Künste streben die Musik an …“ Stimmt für mich doch. Meine Plattensammlung ist der ultimative Beweis.

P.S.: Dieser Text erschien zuerst im Buch „Various Artists – Ich Liebe Musik“ (1999, notschriften Verlag) und wurde von Sascha Greinke als Einleitung geschrieben.