Von Matthias Bosenick (14.10.2024)
Merkst du, was ich merke? Instant-Ohrwurm, sobald man den Bandnamen Verstärker liest. Die Musik auf „V“ indes hat mit Blumfeld nicht sonderlich viel gemein: Instrumental-Postrock, verteilt auf fünf live eingespielte neue Tracks dieses Münchener Trios (und nicht der Band aus Kentucky!). Nun ist der Postrock in seinem Genre etwas limitiert und in den Jahren, die er existiert, reichlich auserzählt worden. Da muss man sich also unterscheiden, wenn man dem noch etwas hinzufügen will, und nachdem Verstärker zwei Tracks lang zwar die klassische Anmutung, aber mit mehr Fuzz bedienen, schlagen sie Kapriolen, die mehr als nur aufhorchen lassen.
Der Opener „Gadd“, möglicherweise benannt nach Drummer Steve, lenkt mit diesem Link schon mal die Aufmerksamkeit auf eindeutige Unterschiede: Das Schlagzeug von Verstärker klingt satter, fetter, rockiger als das bei vielen anderen Postrockern, denen die Kontemplation wichtiger ist als der Rock. Als zweites Merkmal fällt der Fuzz auf den Saiten auf, der dem Sound die erforderliche Schippe Dreck zufügt, und man denkt noch kurz, dass Verzerrer der treffendere Bandname wäre. Man nickt zum verschleppten, aber dynamischen Takt automatisch mit dem Kopf. Auch „Fliegender Fluss“ ist mit seinem Tempo noch im Genre verhaftet, ebenso mit den typischen flirrenden Gitarren, und doch mischen sich Drones und Dröhns in den Sound, die schon reichlich die Grenzen überschreiten.
Und dann kommt Track 3, „Echoes In Motion“, fast acht Minuten lang und viel zu schnell für Postrock, also: echt mal was los in der Schublade. In dem Track passiert eine Menge, das Tempo wechselt, die Rhythmen ebenso, man ist mitgerissen und gefesselt. Für „Elephants“ finden Verstärker einen angemessenen Offbeat, den man ebenso nicht erwartet hätte, und generieren zum Schluss mit Klickerdrums eine Art Stepptanz-Anmutung. In eine ganz andere Richtung geht das finale „Hazarai“, fast eine Viertelstunde lang und ganz anders strukturiert als der Rest: Leise schleicht sich der Track an, steigert sich behutsam, lässt chillig an Siebziger-Artrock denken, entwickelt eine bemerkenswert rätselhafte, uneindeutige Stimmung, die lang hängen bleibt, und ebbt dann allmählich wieder ab, indem er in repetitiven Loops ausläuft, die an Minimal Music erinnern.
Vergleicht man Verstärker mit den Labelinhabern Collapse Under The Empire, gehen die Münchener glasklar als Sieger über die Hamburger hervor. Mehr Mut, mehr Dreck, mehr Eigenständigkeit, und das in diesem begrenzten Genre, so muss das. Zu diesem Trio gehören: Bassist Alexander K. Gilli, einst Mitglied der Band von Peter Coretto, mit dem Verstärker die Split-CD „Bandentreffen“ herausbrachten, Gitarrist Dr. Roberto Cruccolini und Schlagzeuger Wolfgang Walter.
„V“ ist das fünfte Album der Band, der Titel verrät dies, hätte aber auch zu einem Debüt gepasst, sofern das zweite Album „E“ hieße und so fort. Doch wählen die Münchener eine noch merkwürdigere Taktik: Das Debüt hieß 2002 „Jaku“, die Band bestand aus fünf Musikern und von denen ist heute nur noch Cruccolini dabei. Das zweite Album hieß kurioserweise „B-Seiten“, hier war Walter bereits Teil des Quintetts. Es folgten drei durchnummerierte Alben namens „Mehrwerk“, zum Teil zu siebt eingespielt, und zuletzt in der nunmehr aktuellen Besetzung vor vier Jahren „Themes & Variations“ als offiziell viertes Album. Mehr als 20 Jahre Bandgeschichte also, und die Erfahrung hört man „V“ auch an.