Von Matthias Bosenick (16.12.2024)
Vor 14 Jahren erschien mit der Doppel-CD-Version von „Barking“ das letzte durchgehend richtig gute Album von Underworld. Die drei danach, inklusive dem neuen „Strawberry Hotel“, erreichen die alte Klasse nicht mehr. Was ist da los? Werden die Herren Rick Smith und Karl Hyde inzwischen alt und müde, müssen sie sich ausruhen, geht ihnen die Motivation abhanden? Das allein kann es nicht sein, der Vorgänger „Drift, Series 1“ bestand aus einem halben Dutzend Alben, „Strawberry Hotel“ hat satte 15 Tracks. Aber irgendwie ist dem englischen Duo die Inspiration für mitreißende, komplexe Techno-Elektronik abhandengekommen. Sie hätten die Menge an Ideen auf weniger Tracks verteilen und besser ausarbeiten sollen.
„Black Poppies“, die aktuelle Single, eröffnet als eine Art Ambient mit Gesang. Die Stimme von Karl Hyde ist unangefochten einnehmend, er könnte sinnloses Zeug singen, man würde ihm folgen. Macht man ja so seit 40 Jahren, wenngleich die ersten Alben als Wave-Rock-Band – ganz abgesehen von denen als Freur – da ja nicht mitzuzählen sind, die Technoisierung von Underworld inklusive vermeintlich sinnbefreiter, dem Sound zuträglicher Lyrics begann ja erst um 1990, als sich Darren Emerson als DJ dazugesellte, man sich temporär in Lemon Interupt umbenannte und 1994 mit dem Knaller „Dubnobasswithmyheadman“ wiederum als Underworld damit begann, den Techno zu revolutionieren, was 1996 rund um das Folgealbum „Second Toughest In The Infants“ darin gipfelte, dass der Track „Born Slippy.NUXX“ im Film „Trainspotting“ eine elementare Szene begleitete und seitdem bis heute jede sonstwie ausgerichtete Party zum Kochen bringt. Es folgten dezidiert herausgebrachte Alben, die auch nach dem Ausstieg von Emerson dem tanzbaren und experimentellen Electro verpflichtet blieben. Viele waren das wirklich nicht, aber gute: „Beaucoup Fish“, „A Hundred Days Off“, „Oblivion With Bells“, „Barking“, und da sind wir bereits im Jahr 2010.
Weitere sechs Jahre später markierte „Barbara, Barbara, We Face A Shining Future“ den ersten Qualitätsabfall mit einigen eher unaufgeregten Tracks. Hat man so hingenommen, jede Band darf mal schwächeln. Kurz vor Corona erschien dann „Drift Series 1“, wahlweise als einzelne „Sampler Edition“ oder als Box mit sechs Alben, der „Sampler Edition“ und einer BluRay, also mehr Material, als ein Mensch allein an einem Tag hören kann, dazu noch so uninspiriert und langweilig, dass man das auch gar nicht möchte, egal, wie oft man es versucht. Diesen Weg setzt das „Strawberry Hotel“ nun fort.
Grundsätzlich hat Rick Smith ja noch manch spannende Sounds im Ärmel, hier übrigens unterstützt von seiner Tochter Esme Bronwen-Smith, aber es gelingt ihm nicht mehr, mehrere Ideen zu einem spannenden Track zu kombinieren. Stattdessen verlässt er sich zu sehr auf die Wirkung einzelner Einfälle und bastelt aus ihnen spannungsarme Tracks. Am wenigsten inspiriert scheint er zudem in Sachen Beats zu sein: Hatte er früher gebrochene Strukturen, die für sich schon massiv Spannung errichteten, belässt er es inzwischen beim Stumpfen Bumm-Paff, manchmal beim Bumm-Tss, oft sogar lediglich beim Bumm-Bumm. Die Tracks wirken leer, undynamisch, erschöpft, langweilig, bisweilen gar fürchterlich altbacken, und bieten nur wenige Ausnahmen, in denen Underworld spannend sind. Die hätte das Duo zusammenraffen sollen; schließlich belegen die ersten technoiden Alben, dass es den beiden sehr wohl inneliegt, epische Tracks zu kreieren, die man sich gern immer wieder anhört.
Dazu kommt, dass Underworld ihre Gefolgschaft mit Unvollständigkeit zu Mehrausgaben zwingen. „And The Colour Red“ erschien auf Vinyl als „Club Mix“ vorab, die Version auf dem Album ist mehr als eine Minute kürzer. Von „Denver Luna“ immerhin sind sowohl die A-Seite als auch die „Acapella“-Version der B-Seite in das Album eingebaut. Die beiden rein digitalen Tracks mit Kettama sind gar nicht berücksichtigt und in Japan hat das Album mit „Velvet Does“ einen Track mehr. Andererseits – so mager, wie die Songs zuletzt ausfallen, fühlt man sich, anders als früher, auch gar nicht mehr dazu bemüßigt, sich um jeden Ton des Duos zu kümmern. Was echt bedauerlich ist.