Von Guido Dörheide (23.04.2022)
Udo Dirkschneider – einer der Big Three unter den drei großen Udos der DACH-Region – hat jetzt auch seinen 70. Geburtstag feiern können. Genau einen Tag vor mir, nur dass ich noch nicht 70 Jahre alt geworden bin. Und er hat einen verdammt guten Lauf in den letzten Jahren. Nicht, dass er jemals irgend etwas Schlechtes veröffentlicht hätte, aber in den 90er- und Nullerjahren war zumindest einiges dabei, das den Brodweg Richtung Messeweg, dann links auf die Berliner Straße, über Hans-Sommer-Straße und Rebenring geradewegs in Richtung Mittelweg verlassen hat.
Sein Output als tarnanzugtragender, blonder Schreihals beim deutschen Metalvorreiteraushängeschild Accept dagegen ist über jeden Zweifel erhaben, und auch mit seiner nach der zunächst widerwilligen und dann einvernehmlichen Trennung von Accept gegründeten Formation U.D.O. hat er so viele Hits und Klassiker herausgebracht, dass er Konzerte mit der Länge einer Rede Fidel Castros (da wären wir wieder beim Tarnanzug) geben könnte, ohne dabei auf mittelwegmäßiges Material zurückgreifen zu müssen. Allein das 2021er Album „Game Over“ machte deutlich, dass das Game für Udo weißgott noch lange nicht over ist, „We Are One“ – aus 2020 – hätte ich mir vielleicht noch lieber zusammen mit Cannibal Corpse als mit mit dem Musikkorps der Bundeswehr gewünscht (hatte ich schon erwähnt, dass ich für einen guten Sparwitz jederzeit bereit bin, diverse ältere Verwandte bei Ebay Kleinanzeigen reinzusetzen? Nein? Gut.), aber ein Superteil war das schon, nicht zuletzt wegen dieser großartigen Sängerin, Manuela Markewitz. Und dann hat Udo noch den Geniestreich gebracht, mit „Live in Bulgaria 2020 – Pandemic Survival Show“ absolut erfolgreich das mit Abstand größte Live-Konzert der gesamten Corona-Ära zu veranstalten. So, da jetzt noch die ersten paar U.D.O.-Scheiben on top obendrauf – Animal House, Mean Machine, Timebomb – Oh Mann, der Mann hat mehr absolute Hammeralben rausgehauen als andere Bands überhaupt Alben rausgehauen haben, in ihrer ganzen Karriere. Und ist dabei immer ein grundsympathischer Typ geblieben, der auch in Interviews immer eine gute Figur abgibt – quasi vom moralischen Standpunkt der Lemmy Kilmister des teutonischen Heavy Metal, wenn auch nicht mit dessen Charisma und Sex Appeal gesegnet.
Udo kann gesangsmäßig jetzt nicht so viel wie Devin Townsend, Mike Patton oder sagen wir mal dieser Typ zwei Etagen über mir, der immer unter der Dusche das Oeuvre der Wise Guys zum besten gibt. Wobei ich mir letzteren zugegebenermaßen eben ausgedacht habe (Erwähnte ich meine Sparwitz-Affinität? Nein? Gut.) Udo kann tief und rauh, und er kann kreischen, und in beiden Tonlagen klingt er immer 100% nach Udo, also authentisch, energiegeladen und jederzeit voll bei der Sache. Also ich hoffe mal, es liest sich jetzt hier schon mal heraus, dass „My Way“ musikalisch in keinster Weise enttäuscht, sondern in jeder Sekunde in jede nur denkbare Richtung losgeht – nach vorne.
Die Titelauswahl (auf die ich hier ob der späten Stunde mal nicht komplett eingehe) ist mit viel Liebe getroffen – ich muss zugeben, mit „Faith Healer“ hätte ich nicht gerechnet. Der sensationelle Alex Harvey hat den Song eigentlich so in Szene gesetzt, dass es einer Coverversion nicht bedurft hätte. Dennoch sind die Bollock Brothers beigegangen und haben es verdammt gut hinbekommen – und Udos Version steht dem in nichts nach – nur härter und rockiger – nichts anderes hätten wir von ihm erwartet. „Fire“ (Arthur Brown), „Sympathy“ (Uriah Heep) – geschenkt – dann „Nutbush City Limits“ – Udo, hallo? Hammer! Getragen von einem wummernden Bass und später dann Bläsern verleiht Udo dem Song mehr Blues, als man es vom Original gewohnt ist. Eingeleitet mit grunzendem Groove – hier könnte Udo jetzt auch mit ZZ Tops „La Grange“ weitermachen – kreischt er dann weiter, dass es der jungen Tina Turner alle Ehre macht, lässt aber „They Call It Nutbush“ aber zu keiner Sekunde einen reinen Abklatsch des Originals sein. „Man On The Silver Mountain“ war das nächste Stück, das ich mit Spannung und in der Befürchtung eines Fremdschämmoments erwartete – immerhin nimmt es Dirkschneider hier mit niemand Geringerem als Ronnie James Dio auf, der damals bei Rainbow für den Gesang zuständig war. Der Welt größter Metalsänger, so jemanden covert man nicht eben mal so nebenbei – und Udo kriegt es nicht nur hin, sondern integriert „Man On The Silver Mountain“ mit einer Lockerheit in den U.D.O.-Kosmos, dass Ronnie von seiner pentagrammförmigen Wolke herab mit Sicherheit die eine oder andere Pommesgabelgeste herabschauen lässt und sich bestens amisürt.
Bei „Hell Raiser“ von The Sweet geht es weiter munter weiter nach vorne und Udo samt Band (hervorzuheben: der ballroomblitzende Backgroundgesang) lassen viel authentischen Sweet-Sound Paroli laufen. Dann „No Class“ von Motörhead – dazu brauche ich nichts zu sagen. Motörhead – England / Dirkschneider – Germany – paaaaasst! Dann – absolut passend zum Vorgängerstück – „Rock‘n‘Roll“ von Led Zep – Udo und seine Band lassen die guten Zeiten nicht nur rollen, sondern auch krachen. Bei „The Stroke“ von Billy Squier wird es ein wenig ruhiger, was Udos Stimme mehr in den Vordergrund treten lässt – und diese scheitert daran in keinster Weise.
„Paint It, Black“ ist dann wieder eine Herausforderung, an der schon einige andere unsterbliche Rock‘n‘Roller wie z.B. Karel Gott beinahe gescheitert sind – aber Udo meistert auch diesen Stolperstein recht lässig – die Band sorgt für düstere Stimmung, er schreit, alles passt. Dann „He‘s A Woman, She‘s A Man“ – kein Problem, wenn ich mich für die legendäre einsame Insel zwischen einem Sänger aus Niedersachsen und einem aus NRW entscheiden müsste, würde ich Udo mitnehmen (sorry, Klaus). „T.N.T.“ von AC/DC ist ein Heimspiel – Udo war nicht einfach nur so aus Jux schon immer als das bessere Brian-Johnson-Substitut gesetzt als Axl Rose, und auch den Bon Scott kriegt er beachtlich gut hin. Auf „Jealousy“ von Frankie Miller liefert Udo nicht nur routiniert ab, sondern schreit sich bereits im ruhigen Intro die Seele aus dem Hals, dass es einem warm um Herz wird – aber danach fragte ich mich vor dem Hören von „Hell Bent For Leather“, wie Udo es schaffen würde, es mit Metal God Rob Halford aufzunehmen. Und wahrlich – eine gute Entscheidung, nicht gerade „Painkiller“ auszuwählen – „Hell Bent For Leather“ meistern Band und Sänger absolut meisterhaft. Der Geist von Priest weht durchgehend herüber und es macht Laune, zu hören, wie viel Laune es Dirkschneider und seiner Band gemacht haben muss, das Ding zu covern.
Anschließend hatte ich – muss ich zugeben – die Buxe voll: Wie will überhaupt jemand „We Will Rock You“ von Queen covern – und wie Dirkschneider? Hier jetzt Spoiler: Er hat es mit seiner Band fürwahr hammermäßig umgesetzt: Den Original-Gesang von Freddie Mercury verwandelt Udo in etwas Melodisches, das zielsicher irgendwo zwischen Accept, Priest und den Scorpions wandelt, und es wird auch nicht versucht, an Brian Mays ikonisches Original-Solo irgendwie heranzukommen, der Song wird einfach zuende gerockt, als gehöre sich das so. Und genau so gehört es sich. „Kein Zurück“ von Wolfsheim skippe ich jetzt hier mal – weil ich Wolfsheim scheiße finde und es nicht beurteilen kann – was nicht an den wundervollen Wolfsheim liegt, sondern nur am Rezensenten.
Vor dem titelgebenden Abschlussstück „My Way“ hatte ich zugegebenermaßen aufs Neue Angst – wird Udo es schaffen, zumindest zu Sid Vicious, dem wir die bislang größte Coverversion des Stücks – neben der von den Gipsy Kings – verdanken, aufzuschließen – und ja, zum Glück, auch hier liefert Udo wieder zuverlässig ab und hinterlässt die/den Hörenden am Ende mit einer Träne der Rührung. Irgendwie hat er es in den letzten Jahren geschafft, egal, was er macht, nichts Peinliches oder Mittelmäßiges mehr machen zu können. Irgendwo an der Kreuzung den Teufel getroffen? Der König Midas des Rock‘n‘Roll? Man weiß es nicht, nur hier kurz vor Schluss noch ein Wort zum Cover-Artwork: Mittlerweile reicht es vollkommen aus, eine zeitgenössische Aufnahme von Udos Gesicht in Schwarzweiß vorne drauf zu packen, um anzukündigen: Hier kommt jetzt gut eine Stunde unverfälschter, ehrlicher Rock‘n‘Roll und man kann die Party starten. Und hier: Ich habe jetzt einen Artikel über das neue Album von Udo Dirkschneider verfasst, ohne auch nur ein einziges Mal von „The German Tank“, „Solingen“ oder „Reibeisenstimme“ zu schreiben. Geiel, oder? Selbstbeherrschung, Achtsamkeit, …, ach was, Scheiße – Rock‘n‘Roll!!!