Tropical Fuck Storm – Fairyland Codex – Fire Records 2025

Von Guido Dörheide (13.09.2025)

Auf Tropical Fuck Storm bin ich erst vor kurzem gestoßen, nämlich aus Anlass der 2022er Kooperation mit Kind Gizzard And The Lizard Wizard, „Satanic Slumber Party“. Die nicht einfach eine x-beliebige Split-CD darstellte, sondern tatsächlich eine Kooperation mit gemeinsam geschriebenen und aufgeführten Songs, drei an der Zahl, deren erster allerdings mit nicht einmal einer Minute Laufzeit nicht mehr als ein Intro darstellte. Das alles taugte mir und so bin ich beigegangen und habe erstmal gegoogelt, wer sich denn hinter dem tropischen Sturmereignis verbirgt: Es handelt sich um eine australische Supergroup, bestehend aus Fiona Kitschin und Garreth Liddiard von der Band The Drones (die ich allen hier Lesenden aufs Wärmste ans Herz legen möchte), Lauren Hammel von High Tension und Erica Dunn von Mod Con, was sich je nachdem entweder von „Modern Condition“ oder „Modern Convenience“ ableitet. „Moderate Conflicts“ würde auch noch gehen, bin ich geneigt zu sagen, aber wie meistens hat mich niemand gefragt.

Ja eh – wir sind hier, um das aktuelle Werk von Tropical Fuck Storm zu beleuchten und nicht, um uns in historischen Elaboraten zum Thema „Welcher Musikant kommt von welcher Band und was hat er da gemacht und warum ist das hier bedeutend“ zu verlieren – The Drones zumindest machten zwischen 2002 und 2016 feinste und nicht unbedingt eingängige Musik zwischen Postpunk und alternativem Garagen-Noiserock, hört da gerne mal rein, Ihr werdet es lieben. „Fairyland Codex“ ist nun seit 2018 bereits das vierte Studioalbum von TFS und dazwischen gab es haufenweise EPs und Singles.

Prinzipiell machen TFS schöön altmodischen Indierock mit leichten Noise-Anklängen und Gareth Lidiard befleißigt sich oft einer speziellen Art des Sprechgesangs (das tat er auch schon bei den Drones), der ein wenig an Beck oder Ähnliches erinnert. So zum Beispiel auf dem ersten Stück des aktuellen TFS-Albums, „Irukandji Syndrome“, dessen Text recht kryptisch ist – ein Irukandji ist eine sehr giftige australische Quallenart und das Irukandji-Syndrom besteht aus überaus unangenehmen, aber zumeist nicht tödlichen Vergiftungserscheinungen wie Kopfschmerz, Schmerzen im Oberkörper und Erbrechen. Liddiard singt von einem Hafen, der nach einem Gouverneur benannt wurde, der diesen Hafen wohl niemals besuchen würde (Port Phillip? Port Jackson? Port Arthur?), der Erzähler macht sich darüber Gedanken, dass er nie gedacht hätte, in öffentlichen Bedürfnisanstalten würden Morde geschehen, Leute würden vor Gericht kurze Hosen tragen, bis er als absoluter Anfänger auf einem Fischerboot im Norden anheuerte, und am Ende wurde eben dieses Boot dann von einer dieser giftigen Quallen angegriffen, nur eben größer und mit sieben Augen und mit sieben Schwänzen, und das Tier prahlt damit herum, dass es schon diverse andere Schiffe, von einem koreanischen Trawler über eine französische Corvette bis hin zu einem Flugzeugträger, vernichtet hätte und dass es mit dem in Rede stehenden Fischerboot ein noch schlimmeres Ende nehmen würde. Fehlt nur noch der Albatros! Wasser, Wasser überall…

Der zweite Song, „Goon Show“, erinnert mich sowohl musikalisch als auch rhythmisch und von der ganzen Stimmung her an Tom Waits aus den 80ern. Liddiard erzählt hier irgendeine düstere Geschichte aus einer Kleinstadt und haut eine zitierfähige Zeile nach der anderen heraus. Beispiele gefällig? Nun, hier: „I see a company of crisis actors run lines on the lawn, Making misery porn to warm the halls of ivy“ / „And it’s raining cats and dogma“ (wo ich mir nicht sicher bin, ob Zweiteres eine Anspielung auf „It’s raining cats and dogs“ sein soll oder darauf, dass die Immigranten in Springfield, Ohio, nach Meinung des nicht nur komplett irren, sondern auch fiesen und unmenschlichen Donald J. Trump Hunde und Katzen essen würden) / „It’s like being at a party where the party’s always right“ (das klingt wieder nach Trump und nach dem, was er aus der Grand Old Party gemacht hat (bzw. was diese mit sich hat machen lassen). Die Schrägheit der Musik und der Rhythmus des Gesangs lassen vermuten, dass demnächst jemand aus dem Fenster fällt – mit Konfetti in seinem Haar. Das alles wird dadurch aufgelockert, dass Kitschin und Dunn in Teilen des Refrains den Leadgesang übernehmen und Liddiards monotonem Gebrabbel schöne Akzente entgegensetzen.

„Stepping On A Rake“ ist ein ganz ruhiges Stück, das auf dissonanten, langsam angeschlagenen Gitarrenakkorden und dem knarzenden Gesang Liddiards – wunderschön ergänzt durch den Backgroundgesang Kitschins und Dunns – aufgebaut ist. Der Text handelt von Trennung, dem Erzähler ist es egal, aber er scheint dennoch daran zu zerbrechen.

„Teeth Marché“ wird dann von Erica Dunn gesungen, ein schöner Kontrast. Der Gesang beginnt ruhig und gefasst, aber im Laufe des Songs wird Dunns Vortrag schriller, annähernd hysterisch, sie beschreibt eine Beziehung mit „Teeth marks in my heart“. Autsch! Da passt das immer wieder wiederholte „Can you recover?“

An schließt sich das Titelstück und damit auch das Herzstück des Albums: „Fairyland Codex“ befasst sich innert fast neun Minuten mit den Schönheiten des Lebens auf dem Lande: „A village in hell is waiting for you / A village in hell, a village in hell / A village in hell, it’s waiting for you / A village in hell, a village in hell“. Wissen wir Bescheid. Musikalisch ist der Song hochinteressant und sehr gut: Die ersten Minuten werden allein von Liddiards Gesang, einer kratzigen Akustikgitarre und diversen unheilvollen Geräuschen bestritten, bei Minute 3:17 setzt dann ein noisiges Intermezzo ein, dass an- und abschwillt, wieder Platz für Liddiards dann sogar leicht quäkenden Gesang macht, um sich dann zu steigern und zusammen mit Liddiards immer anklagender klingendem Klagegesang in ein Crescendo hineinzumäandern – untermalt von Kitschin und Dunn, die den Text von Pink Floyds „The Great Gig In The Sky“ anzustimmen scheinen, nur irgendwie schräger – das dann am Ende doch wieder im Dorf in der Hölle, das auf Dich wartet, endet.

Anschließend wird es musikalisch deutlich bunter als bisher: „Dunning Kruger’s Loser Cruiser“ (ein wahrhafter Monolith des sprachlos machenden Wortwitzes, wie ich finde) wechselt andauernd den Rhythmus, Liddiard, Dunn und Kitschin wechseln sich beim Gesang ab, dass es eine wahre Freude ist, ich mag manchmal denken, dass hier die B52‘s, die Cramps und Sonic Youth gleichzeitig am Werke wären. Wie sich der Text auf den bekannten Dunning-Kruger-Effekt, nach dem inkompetente Menschen sich ständig derart überschätzen, dass sie nicht imstande sind, ihre eigene Inkompetenz zu erkennen und auch nicht mitbekommen, dass haufenweise anderer Leute ihnen haushoch überlegen sind, beziehen lässt, habe ich noch nicht ganz herausgefunden, aber „I feel good for no bad reason, I feel bad for no good reason“ ist schon mal ein Statement, über das nachzudenken sich lohnen könnte.

Auf „Bloodsport“ wird es dann für TFS-Verhältnisse sehr funky, den Gesang übernimmt hier wieder einmal mehr Erica Dunn. Das Schlagzeug klappert hektisch und der Bass liefert eine urst memorable Bassline.

Auf dem folgenden „Joe Meek Will Inherit The Earth“ bringen Liddiard, Dunn und Kitschin dann alles bisher gehörte schön zusammen – sein knarziger Sprechgesang wird von den Backing Vocals der Damen schön ergänzt und das hinreißend hingeknurrte „Charity, charity, charity, charity begins at home“ schreiben wir uns hernach gerne hinter die Ohren.

Und wenn man dann denkt, dass TFS nun ihr Pulver wohl endlich mal verschossen haben müssten, hauen Sie mit „Bye Bye Snake Eyes“ nochmal einen wahren Hammer heraus: Melancholischer Country, Fiona Kitschin am Lead-Gesang, die Zuhörenden fühlen sich irgendwo an eine Biegung eines Flusses versetzt, kurz bevor irgendwelche Leute aufeinander schießen. Hier klingt dann nichts mehr noisig, knarzig, atonal oder dissonant, sondern richtig schön – sogar an ein stimmungsvolles, warmes Keyboard wurde gedacht. Nur der Text klingt irgendwie unheilverkündend-geheimnisvoll.

Das Country-Feeling bleibt auf dem letzten Song, „Moscovium“ (ein künstlich hergestelltes, anscheinend weitgehend sinnfreies, weil schnell zerfallendes radioaktives Element – ich habe Chemie nach der 11. Klasse abgewählt und habe den Duschvorhang mit der Periodentafel der Elemente nur im Badezimmer zu hängen, weil ich die Farben schön finde, und muss daher völlig passen, zu was außer geheimen Menschenversuchen der Regierung Moscovium dienen könnte), bestehen, nur hier wird es wieder echt düster-dräuend. Der Refrain besteht aus dem von Liddiard wiederholt gekreischtem Wort „Murderers“, „Groom Lake“ wird wiederholt genannt, Groom Lake in der Wüste von Nevada ist der bürgerliche Name für Area 51, um das sich zahlreiche Verschwörungstheorien ranken; die Gitarre kreischt, das Schlagzeug rattert, ein Synthesizer gerät offenkundig außer Kontrolle – welch ein Finale für ein großartiges, nicht leicht zugängliches Album, das man aber lieben kann, wenn es einen erstmal gepackt hat. Das Albumcover von „Fairyland Codex“ ist ebenfalls bemerkenswert – es zeigt ein blaues Zottelmonster (Oder ist es ein unsichtbarer Freund? Oder ist es Garl?) mit orangener Nase und Unterlippe inmitten weiterer leicht grusliger Gestalten, die sich üblicherweise unter Kinderzimmerbetten anfinden.