Tot Onyx – Satire Of Desire – Antibody 2024

Von Matthias Bosenick (21.06.2024)

Ist das schön: Es gibt einen zeitgenössischen Industrial abseits von stumpfen übersteuerten Beats und Samples aus schlecht synchronisierten Horrorfilmen! Nun, dieser moderne Industrial ist dann aber auch gleich komplett undogmatisch, selbst aus Industrial-Sicht, nachzuhören auf „Satire Of Desire“, dem zweiten Album der als Tot Onyx solo aktiven Tommi Tokyo, einer Hälfte des Experimental-Duos Group A. Das Album ist nicht darauf ausgelegt, damit Tanzflure zu füllen, sondern, ihm zuzuhören und das Kopfkino mit synchronfreiem Horror zu befüllen. Glitches, Scratches, zerhackte Töne und Vocals, die Soundsprache von Tot Onyx orientiert sich nicht an vertrauten Hörgewohnheiten. Merzbow und frühe SPK sind dem Album näher als, sagen wir, Dive und Esplendor Geométrico.

Es dauert bis zum dritten Track „Brain Drain“, bis mal wenigstens für kurze Zeit ein sich wiederholender Beat einsetzt, selbstredend manipuliert und zerstört, als zweites rhythmisch ist „Todestrieb“, aber auch ganz weit weg davon, dazu tanzen zu wollen, weil viel zu beklemmend, und „Sasena“ erweckt den Eindruck einer gekonnten Persiflage auf herkömmliche Industrial-Tracks, nur in besser, kompromissloser, böser; den Track kann man sich sogar beinahe in einem sehr sehr düsteren Club vorstellen. Ganz ohne Takt ist die Musik hier dennoch nicht, wenn man sich darauf konzentriert, nimmt man wahr, dass den Soundscapes eine Art Loop zugrunde liegt, ein unterschwelliger Zwang, den Kopf zu nicken, wie apathisch oder hospitalistisch, aber nicht wie zum Tanzen oder chilligen Lauschen.

Frau Tokyo überlastet ihre Tracks nicht, man kann die einzelnen Elemente differenzieren, auch wenn sie sich überlagern, ein Glitch hier, ein zerhacktes Sample dort, ein metallischer Schlag mit Echo, Störgeräusche wie bei schlechter Videoübertragung, Stimmen aus einer vergessenen Nervenheilanstalt, Brummen wahlweise eines sich näherndes Raubtieres oder eines aus dem Takt geratenen Motors. „Our Addiction“ klingt wie der übervorsichtige Gang durch eine postapokalyptische Industrielandschaft in der Nacht, wo um jede Ecke eine Gefahr lauern könnte und in der irgendwelche halbzerstörten Gerätschaften noch Geräusche absondern. Die Electro-Glitches in „Everything We Are Is Eternally With Us“ könnten von Aphex Twin stammen, nur dass der Track hier sogar noch kompromissloser ist. Der Rausschmeißer „Fighting Wrong Enemies“ endet mit einem gehässigen Lacher, das passt.

„Satire Of Desire“ ist eine Reaktion auf die Lockdowns während der Corona-Pandemie, die die Japanerin in Berlin erlebte. Sie empfand die Katastrophe laut Info als menschengemacht und die aus ihr resultierende Welt als weniger realistisch als ihre eigenen Träume. Die sie nun mit diesem Album musikalisch abbildet. Vor zwei Jahren startete Tokyo ihr Solo-Projekt Tot Onyx mit dem Album „Senno I“, die EP „T.O.1“ sowie die gemeinsame Single „Dorothy“ mit Enxin folgten. Zuvor arbeitete Tokyo ebendort mit Sayaka Botanic als Group A (Eigenschreibweise: group A).