Von Matthias Bosenick (05.08.2024)
Tom Liwa sitzt bei dir in der Bude rum und quatscht dich voll. Das allein reicht ihm aber nicht, er hat noch eine leise Indierock-Band mit dabei. Und eine Saxophonistin. Rund 100 Minuten auf drei CDs lag hockt er neben dir und erzählt vor sich hin. Öffnet die Tür zum Jazz und dein Herz für seine Betrachtungen. Lässt die Leuchtturmband im Wendland sanften Folk-Indie spielen, der für sich schon ungemein umhaut, auch auf so eine lange Strecke, und holt als Garnitur Luise Volkmann hinzu, die mit ihrem Saxophon mehr Melodie improvisiert, als Liwa singt. Weil er eben zumeist spricht. 100 Minuten „Primzahlen aus dem Bardo“ und „More To Primes“ können ganz schön kurz sein. Country’n Western sollte man für den Genuss schon mögen, übrigens, wenn auch nicht zwingend chinesischen.
Diese Leuchtturmband ist aber auch gut. Klingt so ein Bisschen nach dem Neil Young aus der „Harvest“-Epoche, mit Akustikgitarre, kraftvollem, aber behutsamem und mit Besen gespieltem Schlagzeug mit der Lust am Country-Rhythmus, einem Atmosphären generierenden Vibraphon und einem das alles wundervoll begleitenden Bass. Etwas Bob Dylan kommt einem auch in den Sinn. Was diese Band allein schon an Geschichten erzählt, das bräuchte weiter nichts. Bekommt es aber: Ein Saxophon ergänzt den Geschichtenerzähler, wahlweise, indem es dessen Melodien, so er denn die Stimme zum Singen erhebt, begleitet, oder, indem es genau dies nicht tut, sondern frei um Liwa und um die Band herumschwirrt und dem Alt.-Country den Jazz verordnet. Oder einen Hauch von Talk Talk, sobald es wie auf „Laughing Stock“ ätherisch im Raum schwebt.
Damit die Hörenden sich besser auf diesem Album zurechtfinden, bekommt es einen nachvollziehbaren musikalischen Spannungsbogen, der mit sehr zurückgelehnter, entspannter, fast brüchiger Musik beginnt, zunächst kaum mehr als eine Begleitung des Sprechenden, und die sich zunehmend emanzipiert. Zu Indie-Rock wird sie nie, die Flowerpornoes, Liwas Hauptband, treten hier lediglich inhaltlich in Erscheinung, nicht musikalisch. Passend zum Talkin‘ Blues, der kein Blues ist, behält sich die Band zunächst auch ein zurückhaltendes Tempo vor. Die beiden nach jemandem namens „Van der Beek“ benannten kurzen Stücke mit den Endungen „Stomp“ und „Toodeloo“ sind etwas flottere Jazz-Interludien und –Outros, erst „E qui non la“ ist mal ein kleiner Ausbruch an Ausgelassenheit, auch gesanglich, und dann dauert es bis „Tommy de Who“ auf der zweiten CD, dass das Tempo mal signifikant anhebt; überdies klingt das Stück nicht, wie es heißt, sondern eher nach Alt.-Country. Die beiden folgenden „The Old Stockholm“ und „Love Dinner“ gestalten sich beinahe als Popsongs, und dann ist das Haupt-Album auch schon vorbei. Die viertelstündige Bonus-CD wirkt wie die Auswahl weggelassener, weil für den Fluss zu experimenteller Stücke; insbesondere „Wie das war“ ist ein Impro-Jazz.
„Wer denkt sich so einen Scheiß aus“, fragt Liwa in „Malmö 1948“, und man kann nur entgegnen: Ist doch kein Scheiß hier! Der Chef erzählt, biographisch, analytisch, gegenwärtig, nostalgisch, assoziativ, konkret, alltäglich, nicht immer nachvollziehbar, aber immer einnehmend, und es ist auch nicht schlimm, wenn man zwischendurch mal den Faden verliert, weil sich Liwas Organ wie ein Instrument in den Leuchtturmsound einfügt, er holt einen schon wieder zurück, wenn nicht mit Inhalten, die die Aufmerksamkeit einfordern, etwa seiner musikalischen Biografie in „Space Czechovs“, dem Vierzehnminüter mit dem Luftballon-Scratching-Solo, dann damit, dass er doch mal wieder zu singen beginnt und wie im genannten Schweden-Song das i so langzieht, „neiiiiiiin, alles okay“, wie man es von ihm seit jeher kennt. Man freut sich darüber, es bleibt auch relativ allein; lediglich der durchdringende Dialog aus seinem Gesang und dem Saxophon in den Refrains des fast viertelstündigen „Binnen Meisje“ erfordert eines an Gelassenheit.
Es stört auch nicht, dass man sich manchmal schon fragt, was der Mann da eigentlich erzählt, zumeist federt ja die Musik die Lücken ab, an anderer Stelle ist man von Liwas Wortwahl abgelenkt, etwa, wenn inmitten dieser aus er Zeit gefallen wirkenden Musik plötzlich Begriffe wie „Cloud“ oder „Download“ fallen, hier in „Bitch EP“, er „Klammer auf“ und „Klammer zu“ oder den eingeenglischten Schrägstrich als „ihr Slash euch“ mitspricht oder dezidierte Passagen auf Englisch sowie „Stella Oscura“ gleich auf Italienisch vorträgt. Er hat die Hörenden eh längst für sich gewonnen, und Rätsel und Chiffren ist man von Liwa ja gewohnt. „Primzahlen aus dem Bardo“, eine Zeile aus dem Lied „Mari On“ übrigens, was soll das? Irgendwas mit Logik und wahlweise Yoga oder deinem Mainzer Bischof? Spiritualität liegt Liwas Texten ja ohnehin schon lang inne, das muss so etwas in der Art sein. Und Mathe und Religion, das hat ja beides mit Glauben zu tun.
Bei dieser Leuchtturmband nun handelt es sich um einen Zusammenschluss von Bassistin (eigentlich Multiinstrumentalistin) Angela Gobelin, Gitarrist Björn Ehlen (The Valemakers), Schlagzeuger Lars Plogschties (Besser sowie Session-Drummer für Ezio, Dirk Darmstädter, Mary Roos, Ina Müller und vielen mehr) und der vielgefragte Vibrafonist Stefan „Saint“ Hörlitz. Das Saxophon ist in diesem Reigen ein Gast, besser: eine Gästin, nämlich gespielt von der Kölner Klangkünstlerin Luise Volkmann, die an unzähligen Bands und Projekten beteiligt ist und ein Album mit dem vortrefflichen Titel „||||||||“ in ihrer Discographie hat. Wer Liwa sammelt, kommt mächtig ins Trudeln: Wie viele Alben gibt es vom gebürtigen Duisburger überhaupt? Und wer ist Axel Ressler? Und magst du eigentlich Country’n Western?