Von Matthias Bosenick (13.05.2015) / Auch erschienen auf Kult-Tour – Der Stadtblog
In seiner Buchbauer-Reihe gibt der Randbraunschweiger Toddn Kandziora befreundeten Autoren eine Plattform für ihre Texte. Die Nummer zehn nimmt Toddn selbst ein, mit Geschichten um die Figur Wotan Engel, die hauptsächlich in den 80ern stattfinden und ein Bild dieser Zeit abgeben, das die Massen so eher nicht erlebt haben dürften. „Im Hohlraum der Jahre“ feiert zwar in gewisser Weise die Jugend, zelebriert aber nicht den medial ausschlachtbaren 80er-Geist mit Smileys, Rubikwürfeln und Nena. Ich-Erzähler Wotan Engel berichtet aus den unteren Schubladen der Existenz, von der Gesellschaft meistens gar nicht wahrgenommen, und wenn doch, dann verschmäht. Dieses Buch trumpft einerseits mit krassen Erlebnissen bis weit über die Kotzgrenze hinaus auf, stellt aber hauptsächlich einen wehrhaften Tritt zurück dar, gegen Gesellschaft, Staat, System, Willkür. So, wie Toddn es darstellt, stellt man sich selbst zumindest meistens an seine Seite und möchte sich mit ihm zusammen wehren. Na ja, und ihm zusätzlich fürs nächste Mal einen Lektor an die Hand geben.
Die zwölf Geschichten sind zeitlich auf den Monat genau verankert; ihnen stellt Toddn markante Ereignisse aus der Weltgeschichte voran, die aber selten Einfluss auf das Geschehen haben. Handlungsort ist ganz klar Braunschweig und Umgebung, mit einigen szenerelevanten Orten und anderen offenbar umbenannten realen Personen. Wotan Engels Erlebnisse sind im Grunde weitgehend allgemeingültig: Eine Jugend auf dem Lande mit Blick auf die verheißungsvolle Nachbarstadt, Jobsuche, Nachtleben, Militär, Freundeskreis. Doch lässt Toddn seinen Protagonisten die Unterseite des Bekannten erleben: Als Wehrdienstleistender mit wenig Sold verarmt er und fliegt aus seiner Wohnung, als arbeitsloser Hilfsarbeiter wird er mit Überstunden ausgebeutet, eine Fischvergiftung beim Wochenenddienst in der Kaserne wird ihm beinahe als Desertion ausgelegt, mittlere Exzesse auf der Dachterrasse stoßen auf Widerstand bei den Nachbarn und der Polizei, seine Vermieterin verdient sich im eigenen Haus als Zuhälterin etwas dazu. Die Ungerechtigkeit des Systems macht Wotan zum findigen Fuchs, indem er in Besitzverhältnissen ungenau wird, kleine Verbrechen toleriert, Drogen ausprobiert, Exzesse zelebriert und auf die Nachbarn flatuliert. Wotan ist also niemand, der das System für sich umbiegen oder zum Besseren beeinflussen will. Eher wird er noch zum egoistischen Arschloch, das dem Rest der Welt Schuld an seinem Elend gibt und diesen Rest der Welt damit für sein daraus resultierendes Fehlverhalten verantwortlich macht. Als Leser schwankt man zwischen „Da hat er aber Recht, das System ist echt scheiße“ und „Also, so muss er nun auch wieder nicht übertreiben“. Dennoch trifft Toddn mit seinem Wotan vermutlich den Tonfall und das Schicksal viel zu vieler Menschen in diesem unseren Lande der ach so blühenden Landschaften.
In seinen Schilderungen stellt sich Toddn als angenehm flüssiger Erzähler dar. Sprachlich bleibt er dem geschilderten Leben angemessen, er vermittelt den Duktus des Ich-Erzählers dem Milieu entsprechend treffend. Unpassend erscheint es lediglich, dass er den vom Militärdienst aufs Kreuz gelegten Wotan distanzlos aufs Bundeswehrvokabular zurückgreifen lässt, anstatt sich sprachlich davon abzusetzen. In diesem Zusammenhang fällt außerdem auf, dass dem Autoren ein Lektor fehlt; manche Passagen sind wegen der übermäßig vielen Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler sogar schwer verständlich.
Schwierig ist auch, dass Toddn die Figur Wotan Engel nicht einführt. Wüsste man es nicht vom Umschlag, hielte man das Buch für autobiographisch, was es vermutlich in einigen Zügen auch ist. Man weiß jedoch auch nach der Lektüre nicht, wer dieser Wotan Engel ist. Seine auf dem Cover aufgeführte „Rasselbande“ tritt außerdem erst in der zweiten Hälfte des Buches auf und bleibt in der Folge unbestimmt. Man weiß nicht, wer alles dazugehört und wer diese Personen sind. Die Inhalte funktionieren gottlob auch ohne den Kontext; des Fehlen desselben macht den Leser lediglich ratlos.
„Im Hohlraum der Jahre“ ist ein aufschlussreicher differenzierter Einblick in die 80er allgemein und in Braunschweig besonders, wie viele Leser ihn selbst vermutlich nicht erlebt haben. Nach der Lektüre ist man darüber aber auch ganz froh. Schlimm nur: Das Buch offenbart dabei auch, dass sich die Verhältnisse für die Unterkante der Gesellschaft seitdem nicht wesentlich zum Besseren gewandelt haben.