Von Guido Dörheide (03.10.2024)
Oh Mann, Thurston Moore! Obwohl der Platten- und Buchsammler und begeisterte Kreuzworträtsellöser seit der Auflösung seiner Band Sonic Youth im Jahr 2011 eigentlich mit schöner Regelmäßigkeit (2011, 2014, 2017, 2019, 2020) neue Alben rausbringt, hatte ich ihn für dieses Jahr eigentlich so gar nicht auf dem Zettel. Passt aber gut, schließlich rezensierte ich vor kurzem das Album „The Collective“ von Moores Ex-Frau, Kim Gordon. Gordon und Moore waren seit 1980 ein Paar, seit 1984 verheiratet und betrieben Sonic Youth von 1981 bis 2011, dem Jahr, in dem auch ihre Ehe in die Brüche ging, die meiste Zeit über mit Lee Ranaldo an der zweiten Gitarre und Steve Shelley am Schlagzeug. Die Trennung im Hause Moore/Gordon und bei Sonic Youth haben mich damals ziemlich aufgewühlt, weil ich einerseits Gordon und Moore immer für ein schönes und tolles Paar hielt (hirnverbrannter Schwachsinn natürlich, da ich ja beide gar nicht persönlich kenne und mir über ihr Beziehungsleben ohnehin keine Kenntnisse hätte anmaßen können, selbst wenn ich sie persönlich gekannt hätte) und mir andererseits nie vorstellen konnte, dass es mit Sonic Youth jemals ein Ende nehmen könnte. Ja klar, ihre Alben wurden immer langweiliger und ruhiger, aber nie schlecht, und logisch, Großtaten wie „Daydream Nation“ (1988), „Goo“ (1990) und „Dirty“ (1992) konnten auch nicht getoppt werden. Nicht von Sonic Youth und auch nicht von irgendwem anders.
So, und nun genug der Vergangenheit hinterhergeweint und maximaloptimistisch in die Gegenwart geblickt: Was kann „Flow Critical Lucidity“ und wie hört es sich an? Viel und großartig, soviel kann ich schon mal vorwegnehmen.
Moore ist so nah an Sonic Youth dran wie schon lange nicht mehr; während sein sein letztes Solowerk „By The Fire“ von 2020 eher schrammelig und punkig ausgelegt war, beginnt „Flow Critical Lucidity“ gleich beim ersten Stück „New In Town“ mit einer klimpernden, dissonant klingenden Gitarre (Glockengeläut war früher immer meine Assoziation, wenn es um Sonic Youths unverkennbaren Gitarrensound ging), und schon nach wenigen Sekunden beginnt Thurston Moore, weniger zu singen als zu erzählen. Leicht heiser klingt er, aber gut als die mit dem jungenhaften Charme und der „Hey, ich mache Avantgarde-Indie-Musik mit leichtem Jazz-Einschlag und komme aus NYC“-mäßigen Haarfrisur (die er bis heute beibehalten hat, ebenso wie den jungenhaften Charme) behaftete Ikone des Noise Rock wiederzuerkennen. Mit dem Stück beginnt das Album ruhig und rhythmusfokussiert, es poltert irgendwie richtig schön vor sich hin. „Sans Limites“ beginnt mit einem ziemlichen Geklimper, dass mich an eins dieser Windspiele in vorstädtischen Vorgärten erinnert und geht dann in eine für meinen zugegebenermaßen banausenhaften Musikverstand asiatisch anmutende Melodie über. Klingt toll, und nach gut zweieinhalb Minuten bringt das Schlagzeug Ordnung in die Sache und dann fängt Moore an, merkwürdige Dinge wie „Flow critical lucidity / No weapons for my ardent defender / Unfold like a flower open, tender“ zu singen. Aber es hört sich toll an und macht neugierig auf alles, was da noch kommen mag. „Shadow“ enttäuscht diese Neugierde nicht, hört sich tatsächlich an wie aus einem der späten SY-Alben, und bei Moores Gitarre lohnt es sich immer, mal genau hinzuhören. Was da wie lässig-verstimmt hingeklampft klingt, ist immer wohldurchdacht und entfaltet hypnotisches Nichtmehrweghörenkönnen, immer. Es folgt „Hypnogram“, bei dem der Name Programm ist. Es hypnotisiert und begeistert durch die typische Thurston-Moore-Gitarre. Von der ich jetzt auch mal auf zu schwärmen höre, weil a) ich nicht nerven will und b) sie bei jedem Stück wirklich gut zur Geltung kommt. Auf „We Get High“ verlässt Moore dann das, was ich hier erwartet hätte, und wird um ein gutes Dutzend Nuancen düsterer: Der Song ist langsam, die Gitarre beängstigend monoton, aber dennoch irgendwie klimpernd, Synths und Bass drohen dräuend am Firmament und Moore haucht, wehklagt und singt dennoch wie Thurston Moore. Das ist wirklich gut und klingt nun auch mal wirklich nicht nach Sonic Youth. Das folgende „Rewilding“ beginnt mit einem hektischen Schlagzeugrhythmus und dann folgt eine Gitarrenarbeit, die an das erste Werk von SY, die selbstbetitelte EP aus 1982, erinnert. Eigentlich täten Schlagzeug und Gesang das auch, wenn nicht die Produktion viel ausgefeilter wäre als damals, was dem Song gut zu Gesicht steht und ihn zu einem meiner Favoriten des Albums macht. Das Schlagzeug klingt knackiger als weiland ‘82 und Thurstons ältere Stimme passt wunderbar zu dieser Art Musik.
„The Diver“, mit knapp über 8 Minuten längstes Stück des Albums, beschließt dieses und lullt die Hörenden schon zu Anfang aufs Beste ein. Ein urst langsames Schlagzeug und eine Gitarre, die ich mir auch gerne bei The Cure vorstellen könnte, verbreiten eine schööne Stimmung und Moores Gesang klingt hell, jung und gleichzeitig auch sehr gereift.
Sollte es jemals eine Sonic-Youth-Reunion geben (was Moore nicht ausschließt), wäre ich auf jeden Fall sehr gespannt und bis dahin freue ich mich wie Bolle, dass sowohl Gordon als auch Moore heuer grandiose Albumveröffentlichungen gemacht haben.