Von Guido Dörheide (03.06.2024)
Was ist besser als Doom Metal? Doom Metal ohne Klargesang natürlich. Wenn man dann noch, wie Thou, aus Baton Rouge, Louisiana stammt, mischt man noch ein wenig Hardcore Punk und Stoner Rock mit rein und macht dann keinen Doom-, sondern Sludge Metal (auch bekannt als „New Orleans, Louisiana-Sound“, erfunden von EyeHateGod und den Melvins, die jedoch nicht aus Louisiana, sondern aus Seattle, Washington stammen, womit wir unseren Unnützes-Wissen-Exkurs auch schon wieder beenden wollen). Und noch besser als Sludge Metal ist noch mehr Sludge Metal, und auch das kriegen Thou überzeugend hin: Nach meiner vorläufigen Zählung hat die Band seit 2007 minnichstens sechs Fullsize-Alben, drei Compilations, knapp zwei Hände voller EPs und zahllose Split-Alben veröffentlicht. Heuer warfen sie beispielsweise neben dem aktuellen Studio-Album noch die von Matthias bereits auf diesen Seiten gewürdigte Doppelvinylversion der 2020er Nirvana-Cover-Compilation „Blessings Of The Highest Order“ auf den Markt. Um die soll es hier allerdings nicht gehen, sondern um das besagte aktuelle Studio-Album. „Umbilical“ heißt es, was auf deutsch „Nabelschnur“ bedeutet. Also das, was sich Vokalist Bryan Funck offensichtlich beim Singen mehrfach um den Hals gewickelt hat.
Nun aber mal Schluss mit dem albernen Geplapper, dessen Existenz einzig meiner Begeisterung ob dieses grandiosen Albums geschuldet ist. Für alle Freunde des langsam sich aus den Lautsprechern quälenden Metals und des keifenden Schreigesangs ist „Umbilical“ wahrhaft ein Fest, und auch Freunde schnellerer Rhythmen werden hier ihre Freude haben, zumindest wenn es krachig und ungehobelt klingen darf.
Mit „Narcissist’s Prayer“ (allein schon der Songtitel haut ordentlich rein) legen Thou gleich ordentlich los: Ein langsam und brutal stampfendes Schlagzeug versucht, Ordnung in einen Song zu bringen, was ihm auch fast gelingt, würde nicht Bryan Funck andauernd mit den sägenden Gitarren um die Wette keifen. Dazu bollert ein Bass, und der Text lädt zum Schwelgen ein: Kannst Du die Schreie der abgenutzten Phrasen hören? Verloren in leerer Dialektik, in der Kunst des Aufbauens und Einreißens, des Diskutierens und Nicht-Beendens sämtlicher Dinge? Ich denke, das haben viele von uns schon unendliche Male miterlebt, und die Schlusszeile „At last, it’s time to die, so die.“ beendet die Diskussion ein für allemal.
Mit „Emotional Terrorist“ geht es dann ähnlich bedrohlich, aber ein klitzekleines Bisschen weniger monoton weiter. Die Gitarren rattern ein wenig mehr, zwischendrin wird es langsamer, ohne an Aggressivität nachzulassen, und Funck begeistert weiterhin mit seinem mächtig böse klingenden Vortrag. Was sich auch hier wieder textlich manifestiert, es wird mit Dolchen gestochen, alles ist irgendwie scheiße, mit Ketten am Hals, nichts könnte zwischen die beiden Träumenden kommen, aber am Ende sind alle tot, erdrückt von irgendeinem Gewicht, bis zum Ende ihrer Leben. Und weil das nicht reicht, fügt Funck noch an: Bis zum Ende der Zeit. OK, das ist mal eine Ansage.
So geht es weiter und weiter (jahaa, ich weiß, das schreibe ich regelmäßig, aber ich füge es nicht als Textbaustein ein, sondern tippe es jedesmal Buchstabe für Buchstabe auf dem altersschwachen Thinkpad mit dem kaputten Lüfter, dem hier auch endlich mal ein Denkmal gesetzt gehört, und das passt ja auch schön zu diese Ende-Thematik des Songs), außer, dass sich auf dem folgenden „Lonely Vigil“ die Intensität des Bedrohlichklingens noch einmal erhört, ansonsten bleiben Zutaten und Tempo erstmal gleich. Was ob der Virtuosität des Dargebotenen aber nicht langweilt, im Gegenteil, man möchte mehr und mehr von demselben, vermutlich, weil es erst durch fortwährende Repetition sein gesamtes Potential endgültig abzurufen in der Lage ist.
Und dann – Überraschung! Auf „House Of Ideas“ wird – wiederum unter Beibehaltung der bewährten und bereits oben besprochenen Zutaten – das Tempo erhöht, was der Musik von Thou wunderbar zu Gesicht steht und mittendrin Raum lässt, rumpelnd, dräuend und heulend das Tempo ein wenig herauszunehmen und dank des mir mittlerweile dermaßen ans Herz gewachsenen Geschreis des Sängers die Dynamik unverändert zu lassen, zumindest bis zu dem palmgemuted-mahlenden Gitarrenpart mit dem langsamen und umso mehr donnernden Schlagzeug, an dessen Ende die Gitarren sehr melodisch und schön langsam an zu jaulen fangen. Sowas darf man dann auch mal gerne zum Ende des Songs ausfaden lassen, ohne sich der Einfallslosigkeit zeihen lassen zu müssen. Dies gilt umso mehr, weil am Ende des Ausfadens, also quasi da, wo die Rezipierenden die Lauschlappen aufstellen, um sich auch nur ja kein bisschen des verblassenden Soundgewitters entgehen lassen zu müssen, auf einmal der folgende Song losbricht, als gäbe es kein Morgen: „I Feel Nothing When You Cry“ ist verglichen mit den bisherigen Songs geradezu thrashmetalverdächtig schnell, wartet mit unvorhergesehenen Breaks auf und der Sänger behauptet, er sei der Fels im Meer des Chaos’. Klingt genau so.
Und „Unbidden Guest“ haut dann exakt in dieselbe Kerbe und auch wieder nicht: Die Geschwindigkeit ist ähnlich hoch wie beim Vorgänger, aber alles ist basslastiger, monotoner, Funck kreischt zwar, aber das klingt weniger hysterisch als zuvor, hier dominiert dann auch der Bass die Gitarren, und das ist schön, weil es Abwechslung schafft. Abwechslung schaffen durch Einfügen eines monotoneren Songs, toll, oder? Am Ende hämmern dann Schlagzeug und Bass um die Wette, bis Funck wieder dazwischenkreischt, das ist große Klasse und ganz weit entfernt von langweilig. „I Return As Chained And Bound To You“ ist dann wieder langsamer, aber auch grooviger als die ersten Stücke des Albums. Es geht um leere Gräber und offene Wunden, also um Themenfelder von hoher Relevanz, die Thou um unglaublich treffende und tatsächlich hochgradig originelle Zeilen wie „Repetition clouds my vision, no one listens“ anreichern. Gegen Ende wird der Song richtig ruhig und Mitch Wells am Bass kann mal so richtig zeigen, was er kann, bevor dann alle anderen Instrumente nochmal weiterhin basslastig mit Funcks Gekeife um die Wette eifern. Auf „The Promise“ wird die Geschwindigkeit wieder geringfügig gesteigert, aber der eigentliche Hammer an dem Stück ist, dass hier unter dem Mantel der Sludgigkeit mit dreckigen Gitarren, polterndem Schlagzeug und dem vielbesungenen Gesang eigentlich von der Melodie her ein eingängiges Stück Hardrock dargeboten wird, ohne dass man es so wirklich mitbekommt. Und am Ende dann sogar noch mannigfaltiges Gehämmer und Krach. Ja geiel!
„Panick Stricken, I Flee“ ist dann nochmal das, was man schon zuhauf auf diesem Album gehört hat, und das auf dem gewohnt hohen Niveau, und zum Schluss folgt „Siege Perilous“; langsam, groovy und mit viel kreischenden Gitarren beschließt dieses Stück ein ganz wunderbares Album.
Das in Schwarzweiß gehaltene Cover zeigt übrigens einen Jungen mit einem Blumenpott in der Hand neben einer Mauer, im Hintergrund ein Mistkübel. Passt.