Von Matthias Bosenick (28.09.2023)
Bei „The Occult Sources“ muss es sich um einen enorm bedrückenden Horrorfilm handeln, nimmt man den Soundtrack von Thierry Arnal aus Lyon als Hinweis (ist es aber nicht, es ist offenbar Kunst). Seine 20 verlangsamten Tracks in einer Stunde Spielzeit hält er minimalistisch, kreuzt kaum mehr als zwei, drei Geräuschquellen pro Track, verliert sich abwechselnd in Drones, Pulsieren, demolierten Melodiefragmenten, pluckerndem Industrial und Noise und vollbringt all dies auf eine Weise, die einen sehr leichten Zugang zu diesem Abgrund ermöglicht. So viel Dunkelheit! Und dabei auch noch so schön. Entspannungsmusik für gutgelaunte Überdrüssige.
Seinen Spannungsbogen errichtet Arnal wunderbar niedrigschwellig: Seine schlicht durchnummerierten Tracks lässt er klar und einfach beginnen und steigert sich von Track zu Track. Erst ein dezentes Rauschen, dann ein dunkler Puls, dann ein Glockenspiel in Schieflage, dann ein leicht nervöser Rhythmus, dann öffnen sich die Tore in die Unterwelt, die Sounds werden abstrakter, schräger, die Arrangements beklemmender, angsteinflößender, doch schon ist man ja mittendrin, ging den Weg mit dem Komponisten, überschritt bereits die Schwelle ins Unbekannte, Bedrohliche, Gefährliche, bewegt sich im Nebulösen und findet mehr und mehr festen Tritt auf diesem Weg in den dunkelsten Abgrund. Man sieht nicht links noch rechts, geschweige denn geradeaus, man nimmt nur wahr, dass es kontinuierlich abwärts geht, mit einigen Ebenen zwischendrin, und je vertrauter einem die akustische Umgebung wird, desto mehr gefällt sie einem.
Da bedient Arnal etwa auch mal eine Kirchenorgel, klar, wenn es ums Okkulte geht. Da manipuliert er eine Gitarre, die er verfremdet und schräg in der Leere anschlägt. Da flicht er verstörende, aber leise Störgeräusche in eine Ambientfläche ein. Und man wundert sich, wie es ihm gelingt, bei all dieser Dunkelheit auch noch den Eindruck zu erwecken, es mit grundsätzlich schöner Musik zu tun zu haben. Möglicherweise ist ein Grund dafür, dass er zwar eindeutig dunkel musiziert, aber dabei behutsam bleibt. Auch möglich ist, dass es daran liegt, dass Arnal seine Tracks nicht überfrachtet, er bleibt bei ausgewählten Soundquellen und generiert eine beklemmende Leere. Außerdem ist er in der Anwendung seiner Sounds nicht plakativ oder hyperaktiv, man bekommt hier keine gefällige Gruftisoße aufgetischt, hier muss man sich schon auf die Musik ein- und sie wirken lassen, das geht nicht so nebenbei und für den gemütlichen EBM-Industrial-Bereich der schwarzen Großraumdisco nebenan.
Tatsächlich liegt dieser Soundtrack bereits seit 2019 vor, doch verhinderte Corona die künstlerische Aufarbeitung, wie sie sich Arnal und Filmmacher Laurent Courau vorstellten. Alles zusammen gehört zu dessen Projekt „The Occult Sources: Deep Inside The Abode Of Chaos“, einem sogar in einem umstrittenen Museum in Saint-Romain-au-Mont-D’Or untergebrachten Multimediaprojekt mit Kunst, Buch, Internetclips und einem Kinofilm, dessen Soundtrack nun offiziell physisch vorliegt. Die Musik konzipierte, komponierte und produzierte Arnal, der laut Info mit Field Recordings, Soundcollagen und Computern arbeitet, was man gut heraushört. Er ist Teil unzähliger Projekte ebenso unterschiedlicher musikalischer Ausrichtung (nicht umsonst ist er auch in der Encyclopaedia Metallum aufgeführt), darunter 2W, Fragment., HAST, N400, Flex, Amantra, TH-A & SEPL, Dogma oder Scorched Earth Policy Lab, puh. Bei dem, was er so treibt, nimmt es nicht Wunder, dass ihn Justin Broadrick mit dem Projekt Amantra auf seinem Label Avalanche Recordings unterbrachte (und der sich auf dem Album „As It Should Have Been“ mit Coverversionen von Broadricks Bands Godflesh und Jesu revanchierte).
„The Occult Sources“ ist wohltuend unangepasst und trotzdem zugänglich. Und es lädt dazu ein, im nächsten Frankreich-Urlaub mal in der Gegend um Lyon eine Stippvisite zum Chaos-Museum zu machen, dessen Geräusche sogar den Bürgermeister auf die Palme bringen.