Von Matthias Bosenick (19.11.2016)
Man fragt sich, woran Kirk Brandon es festmacht, dass er mal Spear Of Destiny und mal Theatre Of Hate reaktiviert. Bis man die jeweiligen Alben hört: Die früheren Wavepopper Spear Of Destiny sind längst eine mitreißende Rockband geworden, als Theatre Of Hate macht er deutlich kargeren Waverock mit Saxophon. Und beweist: Es gibt keine schlechten Instrumente, man muss sie nur zu nutzen wissen. Wie auch die Triangel. Vom amateurhaften Cover sollte man sich nicht abschrecken lassen: „Kinshi“ ist Kirk Brandon auf dem seit 35 Jahren andauernd hohen Niveau.
Dieser Waverock war ja schon immer recht vielfältig ausgestaltet: Mit Elementen aus Punk, Postpunk, Reggae, zusammengemixt und trotzdem reduziert. Heute ist Brandons Band nicht mehr ganz so spröde wie zu Zeiten von „Do You Believe In The Westworld“, doch den Geist der Musik von damals trägt er immer noch mit sich herum. Die Band spielt klar und an manchen Stellen überraschend warm, viele Gitarrenpassagen passen fast zum Poprock, das Saxophon ist mehr als nur Begleittröte. Dazu dominiert die ungewöhnlich hohe und extrem kraftvolle Stimme Brandons, die wahrscheinlich die Gemüter spaltet; wer sie liebt, wird sich über „Kinshi“ freuen. Die Melodien sind der Aggressivität ihrer Themen gemäß oft sehr geradlinig, wodurch die schönen Passagen umso prägnanter und hymnischer hervortreten. Alles ist sehr ernsthaft; das Dschinghis-Khan-artige „hu ha“ in „Ukraine Girl“ nimmt man grinsend mit: Viele andere hätten das nicht so unpeinlich bringen können.
Dabei ist „Kinshi“ gar nicht so retro, wie es vorkommen mag. Vielmehr suchte Brandon offenbar eine vertraute Plattform für seine politischen und gesellschaftlichen Themen. De facto ist „Kinshi“ sogar erst das fünfte Studioalbum von Theatre Of Hate – der mannigfaltige Rest besteht aus Aberdutzenden Single-Compilations und Live-Alben. Bei Spear Of Destiny ist es umgekehrt, da stehen 13 Alben nur elf Compilations und Konzertmitschnitten gegenüber. Aber es gibt ja noch mehr mit Brandon: The Pack (vor Theater Of Hate), ein Solo-Album als 10:51, haufenweise Solo-Live-CDs sowie die Supergroup Dead Men Walking, die eben erst ankündigte, nach einiger Pause ebenfalls wieder auf Tour zu sein (und die zwischenzeitige Umbenennung in The Jack Tars hinfällig gemacht zu haben).
„Kinshi“ ist alte Schule von jemandem, der diese Schule nie verlassen hat und zumeist unbeobachtet vielbeschäftigt und aktiv ist. Außerdem weiß Brandon, was es mit der Musikrichtung Dub auf sich hat, und fügt dem Album eine Bonus-CD mit Dub-Versionen von zehn der zwölf Songs hinzu. Die sind tatsächlich dubbig im dubbigen Sine, also nicht einfach nur irgendwie geremixt, sondern spartanisch und mit Hall und Echo auf einigen Instrumenten oder Passagen versehen. Als Haupt-Album wäre das wohl etwas enttäuschend gewesen, als Bonus ist es hervorragend.
Mit dieser Pledge-Aktion macht Brandon eigentlich nur wieder von sich Hören in Kreisen von früheren Verehrern, die ihn aus Mangel an Aufmerksamkeit und Mainstreamerfolg aus den Augen verloren haben. Und er zeigt, dass es für genau jene Menschen einiges nachzuholen gibt.