Von Guido Dörheide (14.06.2025)
Von den Young Gods aus der Schweiz habe ich – damals als Kind – zuerst gelesen, dann ihre dritte Veröffentlichung „Play Kurt Weill“ (mit wunderbaren Industrial-Versionen von Songs aus der „Dreigroschenoper“ und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“) gehört, bei meinem Gifhorner Freund Klaus, dem ich ohnehin einen großen Teil meiner musikalischen Sozialisierung zu verdanken habe.
Und dann erschien „T.V. Sky“, 1992 war das; ich kaufte mir die CD und war seitdem für einige Jahre den Young Gods verfallen. Kaufte mir die ersten beiden Alben „The Young Gods“ und „L’Eau Rouge“ – beide komplett in französischer Sprache gesungen, die besagte „Play Kurt Weill“ und dann noch „Only Heaven“ (1995). Danach war erstmal Schluss und ich kriegte nicht mehr mit, dass es mit der damaligen Besetzung Franz Treichler (Gesang, inzwischen auch Gitarre), Keyboarder Alain Monod und Schlagzeuger Üse Hiestand erstmal vorbei war, man mit Üses Nachfolger Bernard Trontin aber beiging, weitere Alben aufzunehmen. Das ging bis 2010, „Everybody Knows“ hieß das damalige Werk, dann gab es eine Pause bis 2019, wo sich The Young Gods mit „DATA MIRAGE TANGRAM“ eindrucksvoll zurückmelden. In der veröffentlichungslosen Zeit, nämlich 2012, ist auch der ursprüngliche Samplerkönig Cesare Pizzi wieder zur Band gestoßen und bis heute geblieben, er bediente die Elektronik auch schon auf den ersten beiden Alben der jungen Götter. Kurze Zeit später kümmerte auch ich mich wieder darum, was ich wohl verpasst hätte, und stellte fest: Einiges.
Zu Zeiten von „T.V. Sky“ bestand die Musik der Young Gods aus Treichlers beißendem Gesang (der Mann hat eine Stimme, die zum einen Kruppstahl schneiden kann und zum anderen dennoch eine ziemliche Wärme besitzt, zudem singt er Englisch mit französischem und Französisch mit englischem Akzent), einem echten Schlagzeug, elektronischen Geräuschen und gesampleten Gitarren. Bis „Super Ready / Fragmenté“ (2007) ging es so weiter, dann kam 2008 ein Akustik-Album mit faszinierenden Versionen alter Stücke heraus, und „Everybody Knows“ (2010) enthielt überraschen viele tolle ruhige Stücke. „DATA MIRAGE TANGRAM“, das 2019er Comeback-Album, war dann eher von ruhiger Elektronik geprägt, aber die Klammer für all diese Alben bildete stets der unverkennbare Gesang Franz Treichlers. Mit „Play Terry Riley In C“ (2022) sollte sich das gründlich ändern: Weg vom Industrial Rock und hin zum elektronischen Minimalismus, Rileys Hauptwerk „In C“ wird in ganz hervorragender Art und Weise aufgeführt und mit einem Dokumentarfilm komplettiert.
Und wer nun denkt, die Young Gods sind seitdem weg von dessen, was sie ausmacht, und widmen sich nun einem wie auch immer gearteten Alterswerk, der hat falsch gedacht: Mit „Appear Disappear“ kehren Treichler, Pizzi und Trontin nun direkt wieder zu „T.V. Sky“ zurück: Knochentrockenes Schlagzeug, harte Gitarren, Treichlers unbarmherziger Gesang, elektronische Effekte und Samples, das können die Young Gods immer noch so wie vor weit über 30 Jahren.
Der Titelsong reicht eigentlich schon, um sich in damalige Zeiten zurückgesetzt zu fühlen, und das auf angenehmste Art und Weise. „Systemized“ beginnt dann mit warmer Elektronik, typischem Treichler-Gesang und dumpf-zurückgenommenen Gitarrensamples. Nach gut der Hälfte des Songs bricht dann das Inferno los, die Gitarre wird lärmender, dann eine kurze Pause und etwas ähnliches wie ein Solo, danach kehrt der Song wieder in die Rhythmik und Monotonität des Anfangs zurück – so wollen wir die Young Gods hören. Auf „Blue Me Away“ bilden die krachige Musik und Treichlers hymnischer Gesang einen nicht nur interessanten, sondern wirklich tollen Gegensatz, das Schlagzeug hämmert wie ein Specht, die Elektronik und die Gitarren quietschen um die Wette, Treichler singt den Blues und fängt dann irgendwann an, zu brüllen, um schnell wieder in den Blues zurückzuverfallen. So innovativ und frisch klingt nicht jede Band, die schon seit über 40 Jahren im Geschäft ist („The Young Gods“ erschien 1987 und die Band existiert seit 1984). Man denke an die Rolling Stones in den 90er und 2000er Jahren. Oder man denke besser nicht. Und wünsche sich einen „Jetta Young Gods“ von der Volkswagen-Firma, als Antwort auf den Rolling-Stones-Golf.
Und dann „Hey Amour“ – auf diesem Stück können die Young Gods mal alle Register ziehen, die sie kennen: Der Song ist ruhig, aber aggressiv, der Text wechselt zwischen englisch und französisch und Treichler singt „Hey Amour“ mit ausgesprochenem „h“ und der Betonung bei „Amour“ auf der ersten anstatt auf der letzten Silbe – so, wie es dr Schwyzer eben gern macht, oddr? Und dazu sägen die Gitarren, das Schlagzeug erteilt eine Lektion in Stoik, wie es Liebezeit nicht besser hingekriegt hätte, und ich freue mich, dass mich die Young Gods im letzten Drittel meiner beruflichen Laufbahn immer noch so begeistern können wie damals nach dem Schulabschluss.
„Blackwater“ setzt dann nochmal einen on Top obendrauf: Schlagzeug und Elektronik pluckern vor sich hin, Treichler singt ruhig und entspannt, die Gitarre kracht erst hintergründig und dann so mittenmang vorne rein auf die Zwölf. Das währt nur kurz, dann pluckert es wieder, in einer Hypnotik, der man sich nicht zu entziehen weiß.
„Tu en ami du temps“ haut in dieselbe Kerbe, wenn auch gleich um einiges atonaler, aber danach kommt mit „Intertidal“ mein persönliches Highlight des Albums: Ruhig fängt es an, lässt die Hörenden knapp vier Minuten zappeln, dann wird es so rockig, dass man sich das Ganze auch in der Inkontinenz-Arena oder wie moderne Fußballstadien heute heißen, vorstellen könnte, und es ertönen Harmonien, die eindeutig keine sind. Dann ist vorbei. Ein Song wie die gesamte „Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd: „Wie, das war es jetzt??!?“
„Mes yeux te tous“ ist wieder einmal mehr ein Beweis dafür, das Französisch eine der unmelodischsten Sprachen ist, die es gibt, ein tolles 80er/90er-Elektronik-Stück mit Sprechgesang, eine Art des Gesangs, für die sich diese merkwürdige Sprache sehr eignet. „Shine That Drone“ macht elektronisch-angenehm weiter, auch hier wird die Gitarre erst im Laufe des Songs eingesetzt, im Wechsel mit basslastigen Synthesizern, die sich mit Sicherheit auf die Verdauung auswirken.
„Off The Radar“ ist dann ein wieder einmal mehr eher elektronisch dominiertes Stück, leicht und trotzdem gewichtig, es bildet einen guten Abschluss für ein grandioses Album, mit dem die Young Gods beweisen, dass sie immer noch die Klasse der frühen 90er besitzen, ohne dass alles, was sie danach gemacht haben, auch nur annähernd umsonst war. Merci für die Mussig.