Von Matthias Bosenick (26.06.2017)
Eines machen The Twang als Countryfizierungserfinder als einzige besser als alle anderen, allen voran ihre sämtlichen Epigonen: Sie spielen nicht billig die bereits existierenden Hits in ihrem Stil nach, sondern erschaffen Neukompositionen. Bis auf den Text ist alles anders, auch die Melodien; damit verweigern sie den stumpfen Mitgrölfaktor, vielmehr fordern sie den Partygast zur fröhlichen Auseinandersetzung auf. Dieses Konzept behalten sie auch nach 20 Jahren und auf ihrem ersten deutschsprachigen Album „Wüste Lieder“ bei. Diskutierbar ist hier höchstens die Auswahl der Originale, die Twang-Musik selbst ist unantastbar.
Wir haben beides, Country und Western, und eigentlich auch alles dazwischen und einiges abseits davon: Der Chash‘sche Boom-Chicka-Boom-Rhythmus gehört dazu, die epische Alt.-Country-Wüstenei, der Italo-Western nach Art von Ennio Morricone, Hillbilly-Gejaule zur Steelguitar, Tex-Mex-Mariachi-Trompeten, From Dusk Till Dawn, sogar Tango, natürlich Banjo, Mundharmonika, Besenschlagzeug und auch der nur schwer zu unterdrückende Drang, nebenbei Kälber mit dem Lasso einzufangen, in den Spucknapf zu rotzen und beim Pianisten einen Whisky zu bestellen. Da die Band aus sieben Leuten besteht, gelingt ihr eine komplexe Musik, die nicht nur das Vehikel für einen Scherz ist, nämlich den, bekannte Songs nachzuspielen, die aber auch nicht überfrachtet ist; hier hat man es mit einer ernstzunehmenden Angelegenheit zu tun.
Man könnte The Twang auf diesem erstmals komplett auf Deutsch gesungenen Album beinahe mit Fink in Verbindung bringen, doch war die Band von Nils Koppruch immer ein großes Stück melancholischer und hatte – das ist der Auswahl für „Wüste Lieder“ geschuldet – die besseren Texte mit einer mehrbödigen Sprache. Doch wie The Twang die Originale per Arrangement in neue Kontexte bringen, das ist bisweilen genial: „Griechischer Wein“ etwa, Udo Jürgens‘ Gastarbeiterdrama, bekommt hier einen mexikanischen Anstrich und damit einen Bezug zur Einwandererproblematik der USA. Mit ihrer ernsthaften Herangehensweise an die Musik veredeln The Twang sogar vormalige Schlager wie „Augenbling“ von Seeed oder „Emanuela“ von Fettes Brot.
Überhaupt, in der Auswahl der Vorlagen kennen The Twang keine Genregrenzen: Schlager wie „Er gehört zu mir“ von Marianne Rosenberg, seriöse Revoluzzer-Songs wie „Keine Macht für niemand“ von Ton-Steine-Scherben, Hip Hop wie „Sie ist weg“ der Fantastischen Vier, NDW wie „Der goldene Reiter“ (vermutlich ein Cowboy) von Joachim Witt und Deutschpop wie „Ohne dich (schlaf ich heut Nacht nicht ein)“ der Münchener Freiheit fügen sich hier zusammen, als gehörten sie dies schon immer. Eine Gleichmacherei wie bei den einzigen anderen nachhaltigen Genrefizierern Eläkeläiset findet hier nicht statt, dafür ist für The Twang der Horizont innerhalb des selbstgewählten Genres viel zu weit.
Etwas zu weit in den Vordergrund gemischt ist die Stimme, daran muss man sich erst gewöhnen. Dafür bekommt Hank Twang prominente Gesellschaft am Mikro: Arzt Bela B. gehört dazu, der Texaner Johnny Falstaff sowie Jon Flemming Olsen, der sogar Mitglied einer Countryfizierungsepigonenband ist, Texas Lightning nämlich, und die macht es eben nicht besser als The Twang. Ein Lehrstück für den Herrn also.
Das nächste Gute an „Wüste Lieder“ ist, dass man sie sich zwar bestens live als Stimmungsmacher vorstellen kann, sie aber zu Hause als Album auch funktionieren. Davon war auszugehen, schließlich überzeugten The Twang schon zu Beginn ihrer Karriere ein starrköpfiges Publikum in Nashville. Mehr Qualitätssiegel ist in dem Genre kaum möglich.
PS: Das Album gibt’s, was Wunder bei dem Label, auch auf Vinyl!
Die Songs:
01 Augenbling (Seeed)
02 Remmidemmi (Deichkind)
03 Was Dich so verändert hat (Jan Plewka)
04 Griechischer Wein (Udo Jürgens)
05 Mit 18 (Marius Müller-Westernhagen)
06 Die Welt kann mich nicht mehr verstehen (Tocotronic)
07 Emanuela (Fettes Brot)
08 Keine Macht für Niemand (Ton Steine Scherben)
09 Sie ist weg (Fantastischen Vier)
10 Ohne Dich (Münchener Freiheit)
11 Goldener Reiter (Joachim Witt)
12 Er gehört zu mir (Marianne Rosenberg)