The The – Ensoulment – Cinéola/Ear Music 2024

Von Matthias Bosenick (08.10.2024)

Matt Johnson reaktiviert The The – und klingt wie früher, wie man ihn liebt, mit wunderschönen Melodien, mit durchdringender Stimme vorgetragen, und sanften bis satten Songs, hier indes, anders als ganz früher, mit einer Rockband dargeboten, nicht mehr so elektronisch unterfüttert, also eher an die Neunziger ab „Dusk“ angelehnt. Dabei stellt man fest: Egal, was er wie macht, es wird gut. „Ensoulment“ ist nach einigen Singles, Soundtracks, Official Bootlegs und dem Live-Album das erste Studio-Album von The The seit „NakedSelf“ aus dem Jahr 1999. Obschon man auf ein neues Album von The The längst nicht mehr wartete, hat sich die Zeit gelohnt: „Ensoulment“ ist so gut, man würde für ein weiteres Album von Johnson in der Qualität auch weitere 25 Jahre ausharren.

Die Rückkehr gestaltet Johnson angemessen: Er lässt seine Band nicht brutal in den Raum brechen, sondern sich behutsam bemerkbar machen. Der Opener „Cognitive Dissent“ ist ruhig, man fadet in das Album quasi hinein, ein chilliger Beat, freundliche Atmosphäre, fuzzy Bass, Johnson singt herausfordernd, die Gitarre zerrt Einzelsounds, ein Chor setzt ein, und schon ist man wieder mittendrin im wundervollen The-The-Kosmos. Lass ihn seine eigenen Ideen recyclen, etwa die Schluss-Melodie aus „Heartland“ gleich im zweiten Song mit dem tollen Titel „Some Days I Drink My Coffee By The Grave Of William Blake“, die gestopfte Trompete aus „Lung Shadows“ im Walzer „Kissing The Ring Of POTUS“, das Piano-Intro von „Your Cheating Heart“ in „Down By The Frozen River“, scheißegal, das erleichtert den Zugang nur noch mehr, und außerdem sind das ja Ausnahmen.

Insgesamt behält Johnson die getragene, aber ausdrucksstarke und kraftvolle Stimmung bei. „Life After Life“ an Position sechs ist etwas flotter, energetische Ausbrüche finden sich mehr auf instrumentaler Basis als im Tempo. Dabei hat er Ausbrüche gar nicht nötig, um Intensität zu erzeugen. Der smoothe Mitternachts-Barjazz „I Want To Wake Up With You“ etwa vereinnahmt gerade mit seiner tiefblauen Stimmung, dem Kontrabass und dem Gesang. Ja, dieser Gesang, Johnsons Stimme scheint gar nicht gealtert zu sein, man will ihm zuhören, jedem Ton, den er äußert, ob er flüstert, croont, beinahe rappt, normal singt oder seine Stimme fordernd erhebt, man hängt ihm an den Lippen. So viel Charakter, so viel Ausdruck!

Zwar bedient Johnson auch auf „Ensoulment“ einen Drumcomputer, doch geschieht dies versteckter als auf seinen ersten Alben. Damals generierte er einen repetitiven Beat mit angepasstem Bass-Loop, auf dem er seine hypnotischen Songs errichtete. Mit dem Wechsel zum Bandgewand in den Neunzigern ließ er davon zwar ab, behält aber auch auf „Ensoulment“ bei, gewisse Gesangsmelodien kurz anzuloopen, etwa in „Risin‘ Above The Need“. Ins alte Dunkel-Experimentelle fällt hier „Linoleum Smooth To Stockinged Foot“ zurück, mit rhythmisch blubberndem Synthie und freundlichen Streicherkakophonien. Ungewöhnlich ist für The The der Kirmessound von „I Hope You Remember (The Things I Can’t Forget)“, das klingt, als sänge Johnson zu einem abgemilderten Lied von Tom Waits.

Der Rauswerfer „A Rainy Day In May“ greift den Rhythmus und die Struktur von „$1 One Vote“ auf, der grandiosen Vorab-Single, die vor einem Jahr Johnsons Comeback als Songwriter fortsetzte, die auf „Ensouled“ indes nicht zu finden ist. Tatsächlich würde der Song nicht passen, er ist zu ruppig, rockig für das Album, das eine mildere Grundstimmung hat, wenn auch keine altersmilde. Hier fügt sich alles in einen Fluss, der aus zwölf Etappen besteht, und da alle Songs zwischen drei und vier Minuten lang sind, konzentriert Johnson seine Eingebungen auf einen enger abgesteckten Zeitraum und lässt damit ein sehr abwechslungsreiches, wechselvolles Album entstehen. Ein guter Songwriter ist er also geblieben, auch wenn ihm ein Vierteljahrhundert lang nicht danach war, einer zu sein, nach diversen Rückschlägen von Seiten seiner Plattenfirmen.

Ebenso nicht enthalten ist die wahrhaftige Comeback-Single „We Can’t Stop What’s Coming“ aus dem Jahr 2017, der Nachfolger „I Want 2 B U“ aus dem Jahr 2020 auch nicht, nicht minder die Download-Single „Mrs. Mac“ aus dem Jahr 2007, die Johnson bereits in den Sechzigern schrieb und erst im vergangenen Jahr als B-Seite von „$1 One Vote“ physisch zugänglich machte. Das Album begleiten drei 7“-Vinyl-Auskopplungen: „Cognitive Dissent“, „Linoleum Smooth To Stockinged Foot“ und „Some Days I Drink My Coffee By The Grave Of William Blake“, für deren Artwork Matt Johnson auf Grafiken seines 2016 verstorbenen Bruders Andy Dog zurückgriff und die allesamt B-Seiten beinhalten, die es nicht auf dem Album gibt, „When The Heart Is Waiting“, „Mycelium Muse“ und „Frozen Clouds“.

Fälle für die Sammler, ebenso die anderen Veröffentlichungen in diesem Jahrtausend, nach „NakedSelf“, das damals nicht ohne schlüssigen Zusammenhang auf dem Nothing-Label von Trent Reznor erschien. Die ganzen Soundtracks gehören dazu, „Tony“, „Moonbug“, „Hyena“ und „Muscle“, die Dreifach-CD „Radio Cinéola Trilogy“ inklusive der Remix-CD, auf der „We Can’t Stop What’s Coming“ dann doch noch zu haben ist, die Erst-Veröffentlichung des 1978er-Demos „See Without Being Seen“, die „Official Bootleg“ genannten Live- und Demo-CDs, von denen es mittlerweile bereits acht Ausgaben gibt, sowie das Live-Album „The Comeback Special“.

In dieser Besetzung fehlt übrigens Johnny Marr, der früher häufig als Begleiter von Johnson zu hören war. Keyboarder David Collard ist hier Mit-Songwriter und neben Gitarrist Barrie Cadogan wichtigster Beitragender zu „Ensoulment“. Den Bass spielt James Eller, das Schlagzeug Earl Harvin und die Percussions Daniel „Danny“ Cummings. Als Background-Sängerin ist außerdem Gillian Glover zu hören, Tochter von Deep Purples Roger Glover und Mitarbeiterin im Shop von The The. Jedenfalls ziemlich sehr die Besetzung des Live-Albums, und doch ist diese Studio-Variante der aktuellen Band The The erheblich besser ausgefallen. Gottlob!