Von Matthias Bosenick (30.08.2016)
Hei, was für ein Spaß für eine junge Frau: Surfen an einsamem mexikanischen Strand, lustige Leute treffen, Wellen, Wind und Wetter spüren und dabei den Krebstod der Mutter verdrängen. Die Trauer bekommt jedoch plötzlich eine Gestalt, und zwar die eines mörderischen Hais, der es auf die eskapistisch verblendete Blondine abgesehen hat. Dieser Film macht ganz viel ganz richtig und ist enorm spannend. Und: „The Shallows“ hat mehr mit dem „Weißen Hai“ gemein als dessen Sequels.
Man fragt sich natürlich schon, wie eine von einem Hai umringte Frau in Todesangst einen ganzen Film füllen soll. Wir sind hier ja nicht bei „Gravity“ oder „Der alte Mann und das Meer“, das ist klar. Im Vorfeld hat man daher mehr Manschetten vor der Ödnis der Handlung als vor der bedrohlichen Spannung durch den fiesen Fisch. Doch sind diese Bedenken vollkommen überflüssig: „The Shallows“ erlaubt sich keine Parallelhandlung, er bleibt kontinuierlich bei der ums Überleben kämpfenden Nancy. Es passiert genug, das Hoffnungen weckt und zerstört. Außerdem hat sie ja eine vom Hai verletzte Möwe mit dem Wortspielnamen „Steven Seagull“ als Begleiter.
Es geht damit los, dass Nancy einem Einheimischen Fotos ihrer Familie zeigen will, während er sie an den abgelegenen Strand in Mexiko fährt, an dem ihre Mutter Urlaub machte, als die mit Nancy schwanger war. Anhand der Fotos lässt sich herausfiltern, dass Nancys Mutter wohl an Krebs gestorben sein muss. Telefonate und Chats mit Freunden und Familie geben zudem preis, dass Nancy dafür gescholten wird, ihre Anverwandten in der Not allein gelassen zu haben und vor der gemeinsamen Trauerbewältigung geflohen zu sein. Das ist Nancys Hintergrund, vor dem sich das Folgende abspielt.
Sie trifft im Meer auf zwei einheimische Surfer, tunnelt mit ihnen ein paar Wellen und lässt sie bald davonfahren, um noch einen einsamen Abschlusstörn zu drehen. Und dann beginnt das Grauen: Ein Hai packt sie und fügt ihr eine tiefe Wunde am Bein zu. Sie rettet sich zunächst auf einen vom Hai erlegten Wal und dann auf einen nur bei Ebbe sichtbaren Felsen. Dort repariert sie wie Rambo ihre Wunde und harrt dann der Dinge, die da kommen mögen. Dazu gehören ein verirrter Säufer, die beiden Surfer vom Vorabend, ein am Horizont vorbeigleitendes Schiff und die Flut, die sie von ihrer Felseninsel auf eine Boje vertreibt. Sowie der nimmersatte Hai, der ihr amtlich zusetzt.
Wie beim „Weißen Hai“ steht das Vieh hier stellvertretend für etwas anderes und nicht für sich allein als Monster da. Im Erst-Hai haben drei unterschiedliche Männer, die sich absolut nicht leiden können, gemeinsam ein Problem zu lösen, und das ist lediglich im Hai manifestiert. In „The Shallows“ kann man problemlos im Hai Nancys Zerrissenheit nach dem Tod ihrer Mutter erkennen; zuletzt besinnt sie sich doch noch auf die Familie und – natürlich – die Liebe. Erst dann kann sie das Problem angehen.
Dennoch sind die Szenen mit dem Hai natürlich spannend. Das liegt unter anderem daran, dass man sich mit Nancy identifizieren kann, sie einem also – anders als viele Filmhelden zuletzt – sympathisch ist. Man kommt ihr sehr nahe: Man erlebt, wie sie allen Mut aufbringt, sich aus der Situation zu befreien, und fiebert bei jeder waghalsigen Unternehmung mit. Man spürt ihren Schmerz und erlebt sie doch nicht als wimmernd; damit ist sie überzeugender als Leonardo DiCaprio in „The Revenant“. In diesem Zusammenhang ist es ein positives Detail, dass die Hauptfigur, die einem solchen körper- und seelezehrenden Elend ausgesetzt ist, weiblich ist: Männliche Helden gibt es zuhauf, Überlebenswille, Einfallsreichtum und Durchhaltevermögen sind geschlechtsunabhängig. Lediglich am Anfang spielt Schauspielerin Blake Lively etwas billig ihre Reize aus, beim Todeskampf indes geht es nur noch um die Wurst.
Schön sind die Bilder. Man hat sehr oft den Eindruck, der Film sei für 3D konzipiert gewesen, und freut sich, dass Collet-Serra auch in 2D nicht auf tolle Perspektiven und Kamerafahrten verzichtete. Die Meeresbilder sind für sich schon großartig; da stört es auch nicht, dass manche Surfszenen aussehen, als habe man mehrere Wellensequenzen zusammenmontiert. Gut ist auch, dass der Hai wie bei „Alien“ erst eine ganze Weile unterwegs sein muss, bis er erstmals im Wortsinne auftaucht. Er bleibt eine Bedrohung, die man sich vorstellen muss; auch manche Splattermomente verfolgt man nur mit Blick auf Nancy, die sie entsetzt beobachtet. Vielleicht ist die Unsichtbarkeit des Hais auch eine spezialeffektbedingte Notlösung: In einer bestimmten Szene sieht er aus wie ein zerknautschter Bus. Anders als in anderen Hollywoodfilmen ist die Musik hier ausgesprochen gut eingesetzt. Sie unterstreicht die Angst, will sie aber nicht künstlich generieren. Gut ist Filmmusik wie hier besonders dann, wenn man nicht wahrnimmt, dass es sie gibt.
Ein bisschen Teenagefutter gibt es mit den gezeigten Kommunikationsmitteln: Handyfotos und Videochats erscheinen postmodern als Screen im Screen und wirken leider etwas billig. Keine Gedanken machen sollte man sich über Gezeiten, die einem Zwölfstundenzyklus folgen, nicht dem Sechsstundenzyklus. Und man sollte sich auch nicht darüber wundern, warum Nancy nicht nachts zu fliehen versucht, wenn Haie normalerweise schlafen. Und man sollte es hinnehmen, dass Nancy auf dem Meeresgrund durch Feuerquallenschwärme spazierengeht, die wie Lampen leuchten. Doch all sowas schadet nicht dem positiven Eindruck, den dieser Film hinterlässt. Kann man prima drin abtauchen.