Von Matthias Bosenick (07.01.2016) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour – Der Stadtblog
Drei eigene gute Ideen, ein unerbittlich leidender Leonardo di Caprio in ästhetisch eingefangener Landschaft zu hervorrangendem Score und ein allerorts zusammengeklautes Script sind die Quintessenz von 157 Minuten „The Revenant“ von Alejandro Gonzáles Iñárritu. Der einzige Spoiler ist dabei, dass es keinen Spoiler gibt: Da man alles schon unzählige Male gesehen hat, sind einem die Etappen jeweils schon vorher klar. Bei fortschreitender Spieldauer des Films sinkt man umso gelangweilter in den Kinositz. Hier wären kürzer und mutiger besser gewesen – und ein anderer Hauptdarsteller.
Die Geschichte geht so: 1820 dringen Trapper in ein Indianergebiet in Alaska vor und rauben Felle. Die Landeigentümer dulden das nicht und ziehen den Weißen die Felle über die Ohren. Auf der Flucht wird Hugh Glass (Leo) von einem Bären attackiert und von einem Verräter seinem Schicksal überlassen, nachdem der auch noch Glass‘ Sohn tötete. Klar, dass der den Killer killen will. Also erstmal das Überleben bewerkstelligen und dann den Typen zur Strecke bringen. Fertig. Mehr Handlung ist nicht. Damit der Film deshalb aber nicht ganz so dünn ausfällt, strickt Iñárritu eine Parallelhandlung dazu, von der man zunächst gar nicht begreift, dass sie parallel verläuft, weil alle Typen irgendwie gleich abgezottelt aussehen. Es gibt genau zwei Überschneidungen zur Haupthandlung, die sich zum Ende als dritten Überschnitt einen Zirkelschluss erlaubt. Und der ist so banal wie alle anderen notdürftig eingeklebten Symbole in diesem Film, wie das geflashbackte Blabla von Glass‘ hingemetzelter indianischer Frau und die auf die Trinkflasche geritzte Spirale. Auch hier: Mehr ist nicht.
Vielleicht fiele das alles gar nicht so sehr auf, wäre der Film um eine Stunde kürzer. Dann empfände man auch die überragende Kameraarbeit als gelungener, denn wenn man immer dieselben ästhetischen Bilder vorgesetzt bekommt, nutzt sich das auch ab und ergibt seine eigene Banalität. Und man nimmt Leo den Glass nicht ab: Man sieht einen zotteligen Mann vor sich hin kriechen und ächzen, und dieser Mann hat nun mal das Gesicht von Leonardo di Caprio. Man beobachtet den früheren Mädchenschwarm dabei, wie er sich gerade eine Millionengage zusammenleidet. Ein unverbrauchter Darsteller wäre von der Rolle nicht mehr als er herausgefordert gewesen, denn so viel gibt die nicht her, weder in Bewegungen noch in Dialogen.
Und dann, und dann: wundert man sich, dass dieser Crossover aus zwei Genres – Überleben und Rache – nicht mehr bietet als die Standards aus diesen zwei Genres. Wenn man sich als Filmemacher schon so viel Mühe macht, das Ganze spektakulär zu filmen, warum investiert man dann nicht noch etwas Geld in ein überzeugendes Drehbuch, anstatt sich tumb in der Filmgeschichte zu bedienen? Glass entwickelt sich hier vom Ötzi zum Attila und nimmt diesen Weg über die Stationen Robinson und Rambo. Wie letzterer brennt er sich mit Schießpulver eine Wunde aus. Kennt man aus „Rambo 3“. Um sich vor Kälte zu schützen, deckt sich Glass mit einem Tierkadaver zu. Kennt man aus „Star Wars 2“ (also Episode V). Glass irrt durch einen undurchdringlichen Wald, in dem auch mal Leute vom Baum hängen. Kennt man aus „Blair Witch Project“. Glass sticht wem mit dem Messer ins Bein. Kennt man aus „Scream“. Glass schleppt sich leidend und jammernd durch unwirtliche Gegenden. Kennt man aus „Herr der Ringe“. Glass wird ständig zerstückelt und fließt doch wieder zusammen. Kennt man aus „Terminator 2“. Glass gibt eine Leiche als sich selbst aus, um den Gegner zu verwirren. Kennt man aus wie vielen Italowestern? Glass verfolgt seinen Todfeind bis zur Selbstaufgabe. Kennt man von wie vielen Charles-Bronson-Filmen? Und so.
Ach, und dann: überlebt der Typ auch die absurdesten Sachen. Den Bärenangriff, klar. Wildwasser-Rafting ohne Boot im Bärenfell bei Minusgraden. Er rettet seine Haut mehrfach bei Indianerangriffen. Einen Bison reißende Wölfe interessieren sich nicht für den nahezu bewegungsunfähigen Menschen direkt daneben. Eine Lawine geht knapp hinter ihm den Berg herunter. Chuck Norris kann eine Ein-Schuss-Pistole ohne nachzuladen zweimal abfeuern. Glass stürzt mit dem Pferd und – aber das wäre jetzt wirklich gespoilert.
Denn der Sturz ist eine von ganzen drei überraschenden Szenen im gesamten Film. Die zweite ist die mit dem Bären, die so überzeugend gefilmt ist, dass man die Tricktechnik nicht erkennt. Anders als beispielsweise bei der Lawine, den Bisons oder dem Wind in dem Baumwipfeln. Die dritte gute Sequenz ist direkt die Eröffnung: Da zeigen Iñárritu und sein Kameramann Emmanuel Lubezki, wie der Film auch hätte aussehen können. Wahrhaft furios eröffnen sie das Spektakel, als Indianer die Trapper überfallen. Die Kamera agiert wie ein Lebewesen, da erkennt man noch die vorherige gemeinsame Tat „Birdman“, wenn das objektive Auge mit den Personen umhergleitet und im Dominoeffekt die Begleiter wechselt. Das ist großartig gemacht und weckt die Hoffnung auf unterhaltsame und eindrucksvolle Stunden im Kino. Doch bremst Iñárritu nach der Szene mit dem Bären das Tempo. Und erlaubt sich gleichzeitig, im Handlungsverlauf sprunghaft und in der zeitlichen Abfolge uneindeutig zu sein. Er bremst den Film dann so weit herunter, dass es im Showdown zu einem Verfolgungsspaziergang kommt. Man ächzt mit Leo.
Neben der Kamera ist die Musik das wichtigste wertvolle Element. Verantwortlich für den Score sind überraschenderweise Elektroheld Ryûichi Sakamoto und Carsten Nicloai alias Alva Noto sowie Bryce Dessner von The National. Man hört eine Mischung aus Neoklassik und Industrial, die die obgleich wunderschöne und beeindruckende, so doch aufgrund ihrer Lebensbedrohlichkeit beklemmende Landschaft kongenial (das bescheuerte Wort muss hier fallen) in ihren Eigenschaften repräsentiert.
Das letzte Interessante an dem Film muss man jedoch nachlesen. Iñárritu verfolgte einige Regeln des „Dogma 95“, indem er den Film in der richtigen Reihenfolge und komplett ohne Kunstlicht drehte. Das war natürlich ein erheblicher Aufwand für – der Abspann sagt dies – satte 15.000 Beschäftigte. Yo, man! Jetzt hätte der Film nur noch gut sein müssen. Ist er aber nicht ausreichend.