Von Matthias Bosenick (15.01.2024)
Nach 30 Jahren Neuaufnahmenpause reaktivieren Tom Redecker und Emilio Winschetti ihr Bremer Indie-Projekt The Perc Meets The Hidden Gentleman, und weil allein neu anfangen langweilig ist, holen sie sich noch einige andere altgediente Musiker dazu – allerdings nicht ins gemeinsame Studio, das sie überdies in Berlin bei Ex-Punk und Loveparade-Komponist Sven Röhrig alias 3 Phase einrichteten, einem weiteren Altgedienten mithin, sondern ließen ihre Neuaufnahme von weiteren Altgedienten sowie einigen Jüngeren bequem daheim remixen. Die Namen sind dabei jedoch größer als das Gesamtergebnis: Beate Bartel, Carlos Péron und Felix Wolter sind darunter. Die Musik ist minimalistisch technoid, dubby, krautig, elektronisch geraten, insofern also schon abwechslungsreich, aber das schunkelige Titellied hört man einfach mal zu häufig und bekommt dadurch bei aller Variation den Eindruck von Redundanz.
Die ersten beiden Stücke „Sonnenuhr“ und „Heurtebis“ sind noch mixfrei, also die Originale von The Perc, The Hidden Gentleman und wohl auch 3 Phase, da das Grundgerüst dieser Tracks elektronischer ist als das, was Redecker und Winschetti dereinst machten. So ganz fremd ist der Sound trotzdem nicht, weil das Kern-Duo seinen krautigen Ansatz einfach auf eine andere instrumentale Ebene hebt. „Sonnenuhr“, also das Titelstück dieses Albums, ist ein chilliger, dubbiger Downbeat-Track mit einem um sich kreisenden Refrain, angelegt zwischen Volks- und Kinderlied; die Zeile „Dreh dich weiter, Sonnenuhr“ ergibt herrlich wenig Sinn. „Heurtebis“, das lediglich als Bonus-Track ein zweites Mal auftritt, bleibt chillig, eine dezente E-Gitarre schummelt sich in den Synthiepop ein, den Text erzählt Winschetti eher, als er ihn singt. Um welche Person Heurtebis es sich handelt, kann man nur raten, den Fußballer Tony, die Musikerin Gaëlle, den Schachspieler Franck oder jemand ganz anderes.
Den ersten Remix und damit die erste Single steuert Carlos Péron bei, Mitgründer von Yello, Porno-Soundtrack-Komponist, Gruft-Hörbuch-Untermaler, Wolfsheim-Produzent und vieles mehr. Seine Variante übernimmt zunächst den Text, doch gestaltet er das Stück musikalisch neu, elektronisch und verspielt plündert er seine Effekt- und Sample-Datenbanken, überlädt den Track dabei gottlob nicht. Vom Stoner-Rock seiner Band Earthlings? zum Electro-Remix ist es für Mathias Schneeberger aus Los Angeles ein kleiner Schritt, seine Version ist verträumt, beinahe schwül, mit dem Rimclick borgt er einen Sound aus dem Chanson der Sechziger aus, auch die Synthies verstärken diesen Eindruck, der Break in der Mitte ist eine kleine Überraschung.
Deutlich experimenteller ist die Version von Beate Bartel, einer Künstlerin quasi aus eigenem Hause, schließlich betriebt Winschetti mit ihr das Projekt BPWW. Auch ohne zu wissen, dass die Musikerin von Mania D und Liaisons Dangereuses hier am Werk ist, sind nach anfänglicher Ambient-Experimente DAF-ähnliche Beats herauszuhören, technoid, marschierend, eindeutig synthetisch, tanzbar, viel zu kurz eigentlich. Noch mehr DAF bietet der Mix von Apacho und Path Of Rhythm, was beides Aliase von Schlagzeuger Marlon Klein sind, abermals jemand aus dem eigenen Stall, schließlich spielt er bei Redeckers Sun Temple Circus mit, außerdem bei der Real Ax Band, 1. Futurologischer Congress und den Dissidenten. Seine Version ist körperlich, schiebt minimalistisch den Beat voran, umgarnt von futuristischen Spaceeffekten, percussiven Kanten und einem abschließenden Gruß an „Tainted Love“ von Soft Cell.
Chillige Breakbeats gibt’s von DJ Dwip, der außer auf diesem Album musikhistorisch nicht weiter in Erscheinung tritt, dafür hier gleich zweimal, nämlich als Mixer des zweiten neuen Studiosongs im Bonus. Auch der Dubvisionist, also der Hannoveraner Felix Helge Wolter von unter anderem Winschettis Ex-Band Mythen in Tüten, bleibt chillig im Downbeat und verleiht dem Song in der Tat einen Dub-Anstrich, versetzt mit Funk-Gitarre, Acid-House-Drum-Synthie-Klickern und Cowbells. Zuletzt eben tritt einmal mehr „Heurtebis“ auf den Plan, technoid und housig bearbeitet von DJ Dwip, der die Gitarren im Song lässt und in dem Stück zusätzlich den Popsongappeal erhöht.
Das Konzept ist gewagt: Als neues Album ausschließlich Remixe, das gab es vergleichbar mit „Barking“ von Underworld, nur dass die im Unterschied wahrhaftig ein gesamtes Album remixen ließen, nicht nur einen einzelnen Song, und die Originale als Bonus anboten. Somit stellt sich „Les Variations Sonnenuhr“ vielmehr als eine Art ausgedehnte Remix-EP dar, von der man einzelne Tracks vielleicht mal herauskramt und sie in eine Playlist, ein DJ-Set oder ein Mixtape einbaut, sich jedoch damit schwertut, es wieder und wieder am Stück zu hören. Das „Dreh dich weiter“-Mantra ist einfach zu auffällig, um die Spielzeit von fast 50 Minuten zu bestreiten, ohne sie abnutzungsfrei zu dominieren. Zudem kann man irgendwann das Wort „Maha-Gonni“ nicht mehr hören. So etwas funktioniert besser bei Musik, die weniger auf solche Charaktermomente setzt als auf Atmosphäre, etwa bei „Shapeshift RMXXXD“ von Nastie Band. Einen Spannungsbogen findet man dennoch auf „Les Variations Sonnenuhr“, von chillig zu tanzbar zurück zu chillig, das glückt, aber als neues Album dieser Indie-Helden lässt es den Hörenden etwas enttäuscht zurück.