Von Matthias Bosenick (29.06.2016)
Das Modeldasein frisst Dich auf. Okay. Bekannte Erkenntnis. Und weiter? Nix weiter. Nicht in „The Neon Demon“ zumindest. Der Film ist so glatt wie die Gesellschaft, die er darstellt. Da gibt es keinen Bruch und keinen Tiefgang. Die Handlung ist so plump, dass der Film sogar komplett ohne sie deutlich attraktiver geworden wäre. Man sieht, wer oder was Nicolas Winding Refn gern gewesen wäre, aber geworden ist er es nicht. Nett zu betrachten, mehr nicht – und das ist sicherlich nicht der Effekt, den das vermeintliche Enfant Terrible sich hiermit erhofft hat.
Die Minderjährige Jesse kommt nach Los Angeles, um eine Modelkarriere zu starten. Ihr erste Begegnung (nach der mit ihrem Fotografenfreund) wird dabei ihre schicksalhafteste Verbindung: Die Visagistin Ruby nimmt sich ihrer an. Mit unschuldsweit geöffneten Rehaugen verfolgt Jesse, wie sich die Modewelt vor ihr verbeugt und wie sich Rivalinnen an ihr stoßen. Im gleichbleibend gemächlichen Tempo gipfelt der Film gegen Ende in Abscheulichkeiten und hinterlässt dann aalglatte Unzufriedenheit.
Man meint zu spüren, was Winding Refn im Sinne hatte: der Oberflächlichkeit eine optische Entsprechung geben. Das ist geglückt. Optisch ist „The Neon Demon“ in der Tat reizvoll, mit asymmetrischer Raumaufteilung, Spiegeleffekten, Lichtspielereien. Und einem Soundtrack ergänzt, der zunächst den positiven Eindruck erweckt, es mit einer Art angenehm unentschlüsselbaren Dauermusikvideo zu tun zu haben. Doch dann entwickelt sich eine Handlung mit einigen Untiefen, und da liegt der Hund begraben. Diese Handlung ist dergestalt dumm, dass man sich langweilt. Zwar packt Winding Refn, der sich selbst in Vor- und Abspann für seine mannigfaltigen Beiträge zum Film abfeiert, diverse Andeutungen ins Geschehen, doch lässt er sie allesamt irgendwo fallen und mäandert weiter auf das Finale zu. Und darüber hinaus. Man wartet die ganze Zeit darauf, dass sich der Titel irgendwo niederschlägt, aber bis auf den Umstand, dass sich Jesse nach einer Performance in einem Neonröhrendreieck zum egoistischen Arschloch entwickelt, gibt es keinerlei Bezug dazu. Den muss man sich selbst suchen: Ist etwa Ruby der Neon Demon, der im Moment des Kontaktherstellens das Schicksal Jesses steuert, inklusive Raubkatzen im Motelzimmer, Vergewaltigung im Nachbarraum und der Flucht in Rubys Obhut? Wenn ja, hat Winding Refn das bestens versteckt. Wenn nein, hat der Betrachter einfach zu viel von dem Film erwartet und zu viel Verstand für schlichte Modelthemen.
Und so betrachtet man eben andere Aspekte an dem Film. Die Optik zum Beispiel. Die erinnert an ganz viele andere Filme und Filmemacher. So glatt wie diesen Film stellt man sich etwa „American Psycho“ vor. Wie hier durch Räume gegangen wird, das lässt an „2001: A Space Odyssey“ denken, wie überhaupt viel Stanley Kubrick durchsickert. Die unterschwellige Pseudospannung will an David Lynch gemahnen, doch fehlt es Winding Refn dafür an Tiefgang, an Doppelbödigkeit, an Dunkelheit. Er kann nur platt.
Zwar ist es erfreulich, dass der Däne trotz des Modelthemas mit Nacktheit und trotz des Psychogebarens mit Gewalt bis zum Finale wartet, doch übertreibt er es da dann sofort mit possierlichen Tabubrüchen: Nekrophilie, Kannibalismus, Lesbensex, Vergewaltigung. Und nichts davon zieht er durch: Die (zwei, drei) schockierendsten Momente löst er im Nebensatz oder als Vision auf. Und Jesses markantestes Erlebnis ist zwar konsequent, hat aber keine Konsequenzen.
Hätte er mal ganz auf Handlung verzichtet. Oder sich etwas einfallen lassen wie Paolo Sorrentino, dessen Nebenstränge oft auch unentschlüsselbar erscheinen, aber eine eigene Tiefgründigkeit mitbringen. Der Versuch, stringent zu bleiben, ist bei „Germany’s Next Top Model“ einfach zu einfach lösbar. Tabudarstellungen wiederum gab es bei Peter Greenaway auch schon weitaus geschmackloser. Letztlich ist es schon ganz in Ordnung, dass Winding Refn es mit den expliziten Darstellungen nicht übertreibt. Mehr Inhalt wäre aber schön gewesen, alternativ eben weniger Inhalt und mehr Form.