The Imperial Mustard – Turn The Stone – SlagRec 2025

Von Matthias Bosenick (30.12.2025)

Wer braucht schon Kompositionen, wenn man ein schlüssiges Space-Kraut-Rock-Album wie „Turn The Stone“ auch schlichtweg im Studio vom Universum empfangen und direkt auf die Magnetspule bannen kann? Auf diese Weise verfährt die Rhein-Main-Band The Imperial Mustard seit 2011. So viel Erfahrung und Fachwissen aus allen möglichen Genres bringen die Musizierenden hier ein, dass man das Improvisierte nicht einmal ahnt.

Natürlich sind die Stücke lang, eine radiotaugliche Improvisation lässt sich wohl kaum erwarten, und doch sind die Tracks hier so – nun – dicht geraten, dass sie keine Längen mitbringen. Die Band geht innerhalb ihrer Stücke auf Wanderung, auf Erkundungstour, dreht alle Steine um, die sich am Wegesrand finden, und fördert zu Tage, was sich darunter verbirgt. So läuft ein Rhythmus zwar durch, jedoch in wechselnder Intensität, und ebenso verhält es sich mit wiederkehrenden Motiven, Melodien, Licks. Erstaunlicherweise handelt es sich bei The Imperial Mustard nicht um eine Instrumentalband: Das Wiederkehrende trifft hier auch auf den Gesang zu. Klar fußt vieles davon auf Loops und Miniaturen, aber eben nicht ausschließlich und nicht in einer langweiligen Abfolge.

Dramaturgie und Spannungsbögen beherrscht die Band nämlich nur zu gut. Auf diese Weise plündert sie Einflüsse aus allen möglichen Quellen, das Krautige und das Spacige sind lediglich Orientierungshilfen. Kombiniert mit dem Stimmvortrag von Suse Michel in eher mittlerer bis tieferer Lage und der Ernsthaftigkeit ihres Vortrags, denkt man bisweilen an Patti Smiths Debüt „Horses“, etwa in „On The Line“. Das Titelstück wiederum tendiert zu einer moderneren Variante des Stoner Rock, nur nicht so heavy, mit minimalistisch gelooptem Basslauf und einer epischen Trance. Sobald in „Hot Smoke“ oder in „Easy“ der Offbeat hinzukommt, lässt sich an die Kastrierten Philosophen denken, deren Sängerin Kathrin Achinger eine ähnliche Tonlage hat. Frumpy mit Inga Rumpf kommen einem ebenfalls mal in den Sinn. Das Repetitive Motiv von „Orient V8“ lässt „Final Solution“ von Pere Ubu anklingen.

Da die Band ja nun aus versierten Musizierenden besteht, bekommt auch jeder mal die Gelegenheit, seiner Profession ausufernd nachgehen zu dürfen. Ein endloses Gniedeln auf der Gitarre erwartet man auf einem Album mit so einem Konzept ja schließlich auch, und, ja, man damit wird vortrefflich bedient; das fast zwölfminütige „Beautiful Day“ ist nicht zufällig genau in der Mitte des Albums platziert. Gleichwohl ist das Quintett ebenso in der Lage, die kontemplativ-versunkenen Passagen mit Tempo abzuwechseln. Zudem generiert die Band fortwährend einprägsame Motive, auf die man immer wieder gern zurückgreift, indem man das Album einfach mehrfach hört. Und Analogien sammelt, Funk, Noise, Psychedelic, Ambient, Prog, was auch immer. Schön ist zudem, dass die Band das Süßliche durchgehend vermeidet: Die Musik ist ernsthaft, abenteuerlich, atmosphärisch, schön.

Man wundert sich, dass The Imperial Mustard „Turn The Stone“ als ihr zweites Album anpreisen, als Nachfolge zu „Room One“ aus dem Jahr 2023, dabei existiert die Band seit 2011 und hat noch weitere acht Alben auf dem Zettel – aber in anderer Besetzung eingespielt. Sängerin Suse Michel, eigentlich Schlagzeugerin bei The Slags, ist Gründungsmitglied, ebenso Bassist Carsten Eckermann, Gitarrist Hank Wagner und Schlagzeuger Stefan Myschor. Heißt also: Lediglich der Posten an der zweiten Gitarre erfuhr eine Neubesetzung, Gene Daja ersetzte Ike Anger. Da kichert Mark E. Smith.