Von Matthias Bosenick (24.08.2022)
Wie viele Veröffentlichungen mit dem Titel „The House Of Love“ gibt es von The House Of Love? Und wie oft veröffentlichten sie ihren Hit „Shine On“? Wer bei der englischen Indierock-Shoegaze-Rave-Band einsteigen will, braucht gute Recherchefähigkeiten. Heute ist das ja Dank Discogs und Wikipedia einfacher als vor 30 Jahren. Aktuell bereitet sich die Band auf ihr drittes Studioalbum seit der Reunion vor, „A State Of Grace“ soll das heißen, und wirft als Vorboten eine Acht-CD-Box mit dem Material zwischen der Indie-Zeit auf Creation Records und dem Split auf den Markt, die die Zeit auf dem Fontana-Label abdeckt – die auch nur vier Jahre andauerte, aber immerhin drei Alben und eine Compilation abwarf. Die vorliegende Box mit dem martialischen, nach einem Song von „Babe Rainbow“ benannten Titel „Burn Down The World“ ist nahezu vollständig und beinhaltet zudem Preziosen, von denen man nicht wusste, dass sie existieren.
Ach ja, selige Zeiten, als man noch mit frischen Ideen die Rockmusik umkrempeln konnte und der Welt damit eine eigene Note hinzufügte. Als man sich noch weiterentwickeln und bei aktuellen Strömungen bedienen konnte und damit tatsächlich wiederum Neues kreierte. Für The House Of Love bedeutete dies eine ungewöhnliche Mischung von Sanftheit und Nachdruck: Einem auch auf 4AD nicht unangenehm auffallen würdendem Dream Pop stellte die Band gern eine Rockmusik entgegen, der eine gewisse Wut innewohnt, die auch mal tanzbar war und – man mag das Wort Progrock nicht verwenden – gern auch mal episch, verschachtelt, ungewöhnlich strukturiert sein konnte. Dazu passte Guy Chadwicks Stimme wie Faust aufs Butterbrot, ebenfalls zwischen sanft und nachdrücklich changierend und ausgesprochen angenehm für die Ohren. Bedauerlich, dass die zweite Stimme Andrea Heukamp nach den ersten Aufnahmen wieder ausstieg – sie ist also auf dieser Box nicht zu hören.
Vorneweg: Alben und Compilations mit dem Titel „The House Of Love“ gibt es drei bis fünf oder sieben, je nachdem, was man so mitzählt. Auftakt ist „The House Of Love“ auf Creation Records, das Debütalbum mithin, begleitet von „The Hosue Of Love“, der Compilation früherer Singles, ebenfalls auf Creation und auch als „The German Album“ bekannt (und nachträglich um weitere Raritäten erweitert). Zum Wechsel auf Fontana veröffentlichte das Label zwei Promo-Compilations namens „The House Of Love“, aber die lassen wir mal unter den Tisch fallen. Dafür heißt auch das erste Album auf diesem Label „The House Of Love“, das zweite Album der Band somit, und das trägt seines Covers wegen auch den inoffiziellen Namen „Butterfly“. Nun mag man die ebenfalls auf Fontana veröffentlichte B-Seiten- und Singles-Compilation, das nach dem Roman von Anaïs Nin benannte „A Spy In The House Of Love“, vielleicht auch in diese Reihe stellen, aber unterscheidet sich dieser Titel ja nun mal. Ebenso der der Compilation „The House Of Love | 86 | 88 | The Creation Recordings“, die 2001 erschien.
Letztere deckt tatsächlich nahezu sämtliche Aufnahmen aus der Creation-Zeit ab, also das Debüt und das „German Album“, unter Auslassung der Demos von „Shine On“ und „Christine“, die es auf Wiederveröffentlichungen des Studioalbums „The House Of Love“ bisweilen zu finden gab, sowie der Boni der „Deluxe Vinyl Edition“ ebenjenen Albums, darunter die Flexi-7“ „Shine On (Fuck Version)“, die die Band auch zu der Compilation „Pensioners On Extasy“ beitrug. Will man alles haben, darf man sich nicht auf Sammlungen verlassen, auf denen „alles drin“ draufsteht.
Für „Burn Down The World“ gilt das fast nicht. Es gab einige Single-B-Seiten, die die Band von Creation-Aufnahmen sowie auch separat veröffentlichten BBC-Sessions ausborgte, die sind hier natürlich nicht nochmal enthalten. Es fehlt möglicherweise „Shine On (Second Mix)“ von der „Safe“-Promo-Maxi-CD, vielleicht ist er hier aber auch nur nicht so bezeichnet. Auch fehlt das schlicht „Live“ betitelte Mini-Album, das Fontana 1989 als Tape und 1990 als CD herausbrachte. Sonst fehlt echt mal nix – der Rest hier ist echt fett.
Zunächst sind tatsächlich alle offiziellen Single-B-Seiten auf der auf drei CDs gestreckten Version von „A Spy In The House Of Love“-Compilation untergebracht. Sogar – und das ist echt Dienst am Sammler – die beiden „Black Sessions“-EPs mit den Titeln „Burn“ und „Blind“ vom Magazin Les Inrockuptibles mit insgesamt acht Akustik-Songs sind hier dabei. Auch kann man sich die 2004 erschiene Doppel-CD „The Fontana Years“, die schon etwas mehr abdeckte als das ursprüngliche „A Spy In The House Of Love“, nunmehr komplett sparen. Was für eine Fundgrube! Demos, Liveaufnahmen, Remixe, Edits, Alternativversionen aller Art, dazu die Studiotracks, die es nur auf B-Seiten schafften und die – wie immer – qualitativ den Albumtracks in nichts nachstehen. Und Coverversionen, von Cream bis Bowie, von The Doors bis The Beatles, von Leonard Cohen bis George McCrae.
Bonustracks gibt’s auch auf den drei enthaltenen Alben. „The House Of Love“ bietet acht zusätzliche Demos, „Babe Rainbow“ fünf „Eel Pie Reference Mix“ genannte Alternativversionen sowie „Audience With The Mind“ einfach zwei Bonustracks, von denen die Alternativversion des ohnehin schon überragend geil trippigen „Into The Tunnel“ besonders aufhorchen lässt. Wie die Demos sowieso recht erhellend sind, mit anderen Sounds, anderer Wucht, bisweilen spürbar größerer Aggressivität. Und dann gibt es noch zwei CDs mit Liveaufnahmen zwischen 1990 und 1992, die jedoch an manchen Stellen einige Lücken im auf den Studioversionen dichten Sound lassen. Diese CDs wird man vermutlich eher nicht so oft auflegen – und seien die Songs auch noch so geil, irgendwann hat man „Hannah“, „Shine On“, „Christine“ und „I Don’t Know Why I Love You“ einfach mal oft genug gehört.
Wie auch immer, die Box deckt eine überaus spannende Entwicklung im Bandsound ab, auch befeuert – und das erschüttert, wenn man als Fan dieser zart-harten Musik davon erfährt – vom klassischen Rock’n’Roll-Leben mit Drogen und zerkloppten Hotelzimmern, von Trennungen und Umbesetzungen. Aber wie The House Of Love damals aktuelle britische Strömungen wie Rave in ihren Sound integrierten, ist absolut gelungen und wirkt nicht wie eine Anbiederung an andernorts prosperierende Stile. Vielmehr horchte man schon damals positiv überrascht auf, als das Album „Babe Rainbow“ plötzlich mit den drogengetränkten Ravebeats von „You Don’t Understand“ startete.
Nach der Single „Hollow“ 1993 war vorerst Schluss mit der nunmehr zerstrittenen Band. Die fand sich für alle Beteiligten überraschend 2003 wieder zusammen, was in den Alben „Days Run Away“ (2005) und „She Paints Words In Red“ (2013, auf Vinyl ist mit „Plans“ ein Song mehr enthalten) mündete. Und nun mit „A State Of Grace“ eine Fortsetzung finden soll. Neue Single-B-Seiten gibt es seitdem auch, es wird also Zeit für eine weitere Raritäten-Compilation, oder? „The House Of Love“ dränge sich dafür als Titel geradezu auf.
In Kürze und kompakt:
Alben mit dem Titel „The House Of Love“:
„The House Of Love“ (aka „The German Album“, Compilation, Creation 1987)
„The House Of Love“ (Debütalbum, Creation 1988)
„The House Of Love“ (Promo-Compilation, Fontana 1989)
„The House Of Love“ (Promo-Compilation, Fontana 1990)
„The House Of Love“ (aka „Butterfly“, zweites Album, Fontana 1990)
„A Spy In The House Of Love“ (Compilation, Fontana 1990)
„The House Of Love 86 | 88 | The Creation Recordings“ (Compilation, Pinnacle 2001):
„Shine On (Demo)“ und „Christine (Demo)“ vom „The House Of Love“-Rerelease (Erstes Album) fehlen, sonst alles von „The House Of Love“ und „The German Album“ drauf, aber nicht die Boni der „Deluxe Vinyl Edition“. „Shine On (Fuck Version)“ (Flexi bzw. „Pensioners On Ecstasy“-Compilation sowie „Deluxe Vinyl Edition“) fehlt.
In der „Burn Down The World“-Box fehlt:
„Shine On (The Second Mix)“ von „Safe“-Promo-Maxi-CD
„Live“-Mini-Album, 1989/1990
Auf diversen Singles B-Seiten von Creation-Veröffentlichungen sowie BBC-Sessions