Von Matthias Bosenick (31.05.2023)
Erst ein Hippie-Film, dann ein Hippie-Konzert, so geht das! Als das Filmfest Schwerin vor 20 Jahren Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ ins Programm nahm, lag den Verantwortlichen ein anschließender Auftritt von The Electric Family nahe, Tom „The Perc“ Redeckers Krautrock-naher Spielwiese. Den Mitschnitt des gemächlichen, beseelten, repetetiven, hypnotischen und von Jochen Schoberth behutsam aufpolierten Gigs im Schweriner Speicher veröffentlicht der Bandchef nun als neunte Ausgabe seiner Archiv-Reihe „The Electric Kindergarten“. Im Mittelpunkt steht das damals aktuelle Album „Ice Cream Phoenix“, dessen prominente Gäste hier zwar nicht beteiligt sind, die die überzeugende Livebesetzung indes auch nicht vermissen lässt.
Mit einem beatlosen Instrumental, dem Quasi-Intro zu „I Love The Lighthouse“, leiten The Electric Family vom verklingenden „Zabriskie Point“ über zu ihrem eigenen Set. Das besteht nicht nur aus Stücken, die Redecker ursprünglich für die Familie erdachte, sondern auch aus einem von einem Solo-Album sowie zwei Hits seiner Hauptband The Perc Meets The Hidden Gentleman, beides so Mitsing-Kracher mit sich wiederholenden Anteilen, die man nie wieder aus dem Kopf bekommt, „This Moon Of Both Sides“ und als Zugabe „Bronx Vanilla“, fügen sich beide bestens ins Set.
Das vermittelt nämlich den starken Eindruck, die Band sei sehr entspannt, habe bereits nach Song Nummer 3 keine große Eile mehr, lasse sich nicht hetzen, unteres Midtempo, zurückgenommene Takte bestimmen die Geschwindigkeit, die Band zieh die Songs gemächlich und gemütlich über die Rhythmusstrukturen, mit leichtem Phlegma, beseelt, beschwingt, psychedelisch, krautig, frei. Dazu singt Redecker trocken und fast im Sprachmodus, charakterstark, wie man ihn kennt. Die Musik lässt sich im Grunde nicht klar charakterisieren, und das ist ein Markenzeichen Redeckers, der zwar grob im Indierock verortet ist, aber mit The Electric Family Krautrock zu machen behauptet und mit The Perc Meets The Hidden Gentleman auch bei den Gruftis für wohlgesonnenes Kopfnicken sorgte.
Obwohl sich die Songs aus verschiedenen Quellen speisen, ist der Sound doch sehr homogen, alles fügt sich, auch freie und Solopassagen. Dafür trommelte der singende und Akustikgitarre spielende Bandchef eine gute Runde zusammen, die sich spontan einfand, denn spontan musste es sein, der Aufruf vom Filmfest Schwerin kam ohne großen Vorlauf: Gitarrist und Keyboarder Jochen Schoberth, Keyboarder Volker Kahrs, Schlagzeuger Hanno Janssen und Bassist Ben Schadow, also alles mehr oder weniger vertraute Mitstreiter der Familie, wenn auch nicht sämtlich bereits auf „Ice Cream Phoenix“, so doch über die Jahre schon immer eng mit Redecker verbunden. Es erstaunt die Aufnahmequalität, die Redecker von Schobert zwar etwas polieren, aber nicht manipulieren ließ: Weit über Bootleg-Niveau ist das Live-Album ein Genuss. Da macht es auch nichts, dass die Promis der Studioversionen nicht mit auf der Bühne waren, etwa Ulla Meinecke, The Voodoo, Hagen Liebing und viele mehr.
Kleiner Fun Fact: Als weit vorauseilenden Vorboten zu „Ice Cream Phoenix“ veröffentlichte die Familie „Careful With That Axe, Eugene“ als Single, ein Cover von Pink Floyd, die ebenjenen Song selbst unter dem neuen Titel „Come In Number 51, Your Time Is Up“ für den Abspann von „Zabriskie Point“ neu bearbeitet hatten. Schade, dass es das Stück nicht in das vorliegende Liveset schaffte (oder etwa doch, lediglich nicht auf die CD?).
Die Tracklist:
01 Sirius
02 I Love The Lighthouse (von „Seven Miles Overground“-7“, 1998)
03 The Dragon Song (von „Jack Of All Trades“, The Perc, 2001)
04 The Last Phase Of The Moon (von „Ice Cream Phoenix“, 2003)
05 Landmark Visions (von „Ice Cream Phoenix“, 2003)
06 Smalltown (von „Pueblo Woman“, 2000)
07 Airchild (von „Ice Cream Phoenix“, 2003)
08 This Moon Of Both Sides (von „Lavender“, The Perc Meets The Hidden Gentleman, 1991)
09 Bricks Of Time (von „Tender“, 1999)
10 Bronx Vanilla (von „The Fruits Of Sin & Labor“, The Perc Meets The Hidden Gentleman, 1990)