Von Matthias Bosenick (09.01.2024)
Wenn man zwischen zwei Alben seinen Bandcorpus um eins auf vier Mitglieder aufstockt und dieses neue Mitglied lediglich für eine zusätzliche Stimme an Bord ist, sagt das einiges aus – über das vokale Sendungsbewusstsein einerseits und über das Vertrauen in die musikalische Intensität andererseits. Zu Recht: The Crotals aus Lausanne kombinieren auf „Conjure“ alle erdenklichen im Metal oder Punk angesiedelten Genres, die unkonventionell, dreckig und noisy sind, wie Hardcore, Sludge, Black Metal, Noisecore, Doom und was die Palette dazwischen noch alles hergibt. Und als wäre ein zweiter Schreihals nicht schon ausreichend, laden sich die vier für ihr drittes Album auch noch Gastsänger ein. Und – einen Trompeter. Dafür verzichten sie halt auf den Bass und lassen dessen Frequenzbereich die Bariton-Gitarristin übernehmen.
Melodien gibt es auf „Conjure“ durchaus zu hören, nur eben nicht diese vordergründigen, die man – so etwas gibt es ja auch im Metal – dem Pop zuordnen würde. Was hier an Melodien erklingt, ist vielmehr wahlweise fragmentarisch in den Lärm eingebettet oder harmonisch eine Atmosphäre erzeugend. Für ihren Lärm jagen The Cortals ihre an Saiteninstrumenten generierten Riffs und Sounds durch rostige Verstärker, sagt die Info, und das ist ein sympathisches Gimmick, mit dem The Crotals ihre Gewaltausbrüche umschreiben. Hauptsache dreckig und kaputt, aber energetisch, brutal und irgendwie trotzdem schön. Und so ist es ja auch.
Dabei lassen sich die Schweizer in keine Schublade einsortieren, und das mit voller Absicht: Eindimensional kann ja jeder, aus allem das Bessere zusammenfügen ist die Kunst. So beginnt das Album atmosphärisch und mit Gegrowle, als borgte sich eine Black-Metal-Band einen Death-Metal-Shouter aus. Sie selbst geben für ihren Sound Sludge, Doom und sogar Stoner Metal als grobe Orientierungshilfen aus, was man auch durchaus alles in der Musik finden mag, nur niemals klar abgegrenzt, gottlob. In diesem Noisecore, dem man eine Verwandtschaft zum Noiserock aus dem New York der Achtziger bisweilen anhören kann, ist es somit möglich, dass ein gebrüllter Lärm-Metal im Dreivierteltakt daherkommt, der in einer gruftige oder Black-Metal-Richtung weist.
Nur nie in Richtung Pop, also Metalcore oder so etwas, kein plakativer Schönklang, nichts Glattpoliertes. Was nicht bedeutet, dass einzelne Elemente nicht dennoch schön sein können, nicht nur die Harmonien, die The Crotals durch die verranzten Amps jagen, sondern etwa auch der Gastgesang von Michael Schindl von Impure Wilhelmina aus Genf im Song „Crater“ oder die Trompete, die jemand namens Denis in „Taenia“ und „Silver Lake“ einarbeitet, und das auch noch so unerwartet angenehm passend, weder als Fremdkörper noch als etwas, das die Richtung unangemessen verbiegt, etwa in den Ska oder so. Nix gegen Ska, hier wäre er ein Fremdkörper unter Fremdkörpern.
2011 starteten The Crotals mit den Favez-Musikern Maude Oswald (auch bei Toboggan; sie spielt die Bariton-Gitarre), Fabrice Marguerat (ehemals A Season Drive; Schlagzeug) und Guy Borel (einst Favez Disciples; Gitarre und Gebrüll), 2015 erschien das Debüt „Fuel! Flames! Blast!“, dem 2018 „Horde“ folgte. Seitdem ist Randy Schaller (von Voice Of Ruin, Conjonctive und Enigmatik) als zweiter Vokalist dabei, auf „Conjure“ zusätzlich zu den Genannten unterstützt von Yonni Charpatte (Rorcal) sowie von den nicht weiter ausgeführten Stimmen La Gale und Danek. Ein schöner Zaubertrank, den die vier sympathisch aussehenden Leute hier mit ihren Gästen zusammenkippen.