Von Matthias Bosenick (04.10.2023)
Ja, wir Neunziger-Kids halten an unseren alten Helden fest, wir bleiben den einstigen Sounderneuerern treu. Zumindest, so lang sie sich nicht selbst an den Kommerz oder an sonstwen verraten. The Chemical Brothers sind dafür bis heute zu unangepasst, daher bleiben sie auf dem Aufmerksamkeitsradar, sobald sie etwas Neues herausbringen, und das vollbringen die Brüder Ed Simons und Tom Rowlands seit fast 30 Jahren zuverlässig. Auch wenn es längst keine Knallerhits aus der fetten Bigbeat-Schmiede mehr gibt, sondern eher DJ-Sets aus miteinander verbundenen Dancetracks mit dezidierten Gastsängern und den typischen Hupen und Sirenen. „For That Beautiful Feeling“ hätten die ChemBros indes ihre Samplevielfalt und die Gastbeiträge etwas erweitern dürfen, ansonsten ordentlich, Jungs!
Wie klingt eigentlich moderne Tanzmusik? Fragt man die Jugend, zählt sie sicherlich nicht die Bigbeats der Chemical Brothers auf. Die wiederum haben es nicht nötig, ihre Studioraves an den Zeitgeist anzupassen, sie bleiben ganz bei sich selbst und ihrem ureigensten Rezept, an dem sich vor 30 Jahren noch viele Epigonen versuchten, die es teils heute nicht mehr oder teils nur noch uninspirierter gibt. So richtig bis ins Unermessliche inspiriert sind die Chemical Brothers indes heutzutage auch nicht mehr: „For That Beautiful Feeling“ lässt Lücken in der Wunschliste, die man an ein Album der Brüder hat.
Die Rezeptur bleibt in den Grundzügen gleich: Dicke, zumeist gebrochene Beats, kreischende Sirenen, durchdringende Hupen, repetitive Samples, wechselnde Tempi, gedehnte Atmosphären, Gastmusiker. Alles etwas anders gewichtet als gewohnt, zumindest aus den Neunzigern – die jüngeren Alben sind dem neuen trotz einiger Rückgriffe auf die Anfangszeit näher als eben die Anfangszeit. Dazu mengen Rowlands und Simons frische, weil alte Ideen in den Sound ein, etwa 808-Acid-Effekte in „No Reason“, Electrofunk in „Fountains“, 70er-Disco-Strukturen wie in „Magic Wand“, das an den angekitschten Moby erinnernde „Goodbye“ oder eine balearische Houseanmutung in „The Darkness That You Fear“, der bereits 2021 erschienenen Single, die hier als „Harvest Mix“ enthalten ist.
Als deutlichster Rückgriff auf sich selbst schimmert „The Weight“ hervor, entschleunigt und fett wie die „Block Rockin‘ Beats“ 1997 und ebenfalls mit einem brutalen Bassgroove ausgestattet. Atmosphärische Tracks wie das in Tateinheit mit dem „Intro“ das Album umklammernde Titellied gab es ebenfalls schon früher.
Trotzdem war früher einiges besser: Die Stücke selbst hatten in sich eine mitreißendere Dynamik, die flossen nicht nur so tanzbar dahin. Seit jüngerer Zeit verlegen sich die Brüder zudem darauf, viel zu kurze Sprachsamples in viel zu kurzer Zeit viel zu oft zu wiederholen, das verleiht den entsprechenden Tracks etwas Nerviges. Was sie ja durchaus laut Masterplan des Duos haben sollen, aber das ursprüngliche Nervige verleitete zum Tanzen, das jetzige zum Skippen. Stattgegeben, laut gehört reißen die Sounds unter den Samples dann wieder mit, aber immer laut ist ja auch keine Lösung. Was sollen denn die Nachbarn denken.
So richtig Gesang wiederum gibt es auf dem Album auch nicht, abseits der kurzen Samples. Anders als früher sind dieses Mal nur zwei Gäste dabei, davon keine, die Instrumente mitbringen: „Live Again“ und das Titellied schmückt die Pariser Singer-Songwriterin und Multiinstrumentalistin Halo Maud alias Myra Lee, bei „Skipping Like A Stone“ ist der unnachahmliche, hier watteweich singende Beck zu hören. Dieses dürfte ohnehin eines der besten Stücke auf dem Album sein, das auch musikalisch ebenso gut auf dem Hitalbum „Surrender“ hätte erschienen sein können.
„For That Beautiful Feeling“ ist also kein schlechtes Album, wie auch die Vorgänger „No Geography“ und „Born In The Echoes“ nicht schlecht waren. „Further“ markierte 2010 schon den Übergang von den knackigen musikalischen Abenteuerreisen in die gemäßigten Fahrwasser. Von Altherrenbigbeat kann dennoch keine Rede sein.