Von Matthias Bosenick (24.10.2012)
Wenn Ken Loach eine Komödie dreht, dann nicht ohne die bittere, knallharte Realität. In „The Angels‘ Share“ lässt er schottische jugendliche Verbrecher den teuersten Whisky der Welt stehlen, um davon ein neues Leben ohne Verbrechen beginnen zu können. Auch ein Realist wie Loach hat Sehnsucht nach der heilen Welt; nur ein Bruchteil der Welt in „The Angels‘ Share“ indes ist heil und hoffnungsvoll, und nur der Kontrast zur unkontrollierten Gewalt lässt diesen Bruchteil am Ende umso heller straheln und beim Betrachter als positiven Sozialisierungs-Erfolg durchgehen. Wie gewohnt punktet Loach mit von der Straße weg gecasteten Darstellern und einer schlüssigen Geschichte.
Man muss erst Schläge einstecken. Hauptfigur Robbie teilt aus, kommt in den Knast, verprügelt danach andere, kommt dieses Mal um den Knast herum und wird zu sozialer Arbeit verdonnert – weil seine Freundin schwanger ist. Die Freundin droht ihm mit Trennung, sollte er wieder gewalttätig werden, ihr Vater kann ihn nicht leiden und außerdem gibt es da noch eine Schlägerbande, die es auf ihn abgesehen hat und es ihm schwer macht, sein Verpsrechen, gewaltlos zu bleiben, einzuhalten. Sozialarbeiter Harry vermittelt Robbie seine eigene Leidenschaft für Whisky – und Robbie beweist ein Näschen, das ihn kurzerhand zum versierten Kenner des Lebenswassers macht. Mit dieser Kenntnis und drei verurteilten Begleitern aus dem Sozialprogramm sowie einem hilfreichen Kontakt in höhere Sphären macht Robbie gestohlenen Whisky zu Geld und sich auf und davon in ein neues Leben mit Job, Frau und Kind, während seine drei Begleiter ihren Beuteanteil standesgemäß gutgelaunt versaufen, wahrscheinlich eher nicht mit Whisky.
Die Frage ist nicht neu: Wie geht man mit der ausgweglosen Situation um, ausgesuchtes Opfer von Schlägern zu sein, ohne selbst zum Schläger zu werden? Clint Eastwood ließ sich in „Gran Torino“ erschießen und die Täter damit in den Knast wandern – keine Lösung für junge Leute mit Plänen. Loach lässt Robbie die Flucht ergreifen, allerdings nicht als sich verkriechendes Opfer, sondern als aufrechter Neuanfänger. Das erfordert Mut, ebenso, überhaupt sein Milieu zu verlassen. Nun steht schottischer Whisky auch nicht für heftige Besäufnisse, sondern wie Wein für Genuss, Besinnung, Sensibilität und angehäuftes Fachwissen und ist somit ein passendes Sujet für so einen Neuanfang.
Der Humor resultiert aus dem Kontrast zwischen schweineteurem Whisky und Protagonisten aus dem Keller der Gesellschaft, Pragmatismus und Ignoranz contra Leben als Bestandteil dieser Gesellschaft. Die Olsenbanden-artige Diebstahlsequenz ist außerdem mordsspannend. Loach bildet seine kaputten Jugendlichen liebevoll ab, aber zwangsläufig nicht völlig frei von Stereotypien. Das funktioniert aber zumeist, bis auf den widerwärtigen Kotzwitz, der ähnlich in den 90ern in amerikanischen Witzfilmchen Standard war. Ins Bild passt, dass drei Viertel der verbrecherisch zu Geld Gekommenen jenes vermutlich versaufen, während einer die Gelegenheit beim Schopf ergreift. Trotz dieser eigentlich miesen Quote stimmt das letzte Bild den Zuschauer hoffnungsvoll. Loach wieder, auf den Mann ist Verlass.