Von Matthias Bosenick (28.03.2024)
Diese „Timewave“ reicht 40 Jahre zurück: Sieben Jahre nach dem Debüt-Album „Aware“ reicht die zwischendurch zum Quartett angewachsene Band aus Prato bei Florenz ihr zweites Album nach. Veränderungen gab es nicht nur durch den Zuwachs eines Keyboarders, auch durch die weltweit bekannte Einschränkung bei der Entstehung des Albums: Corona zwang die vier zum Homerecording und digitalen Zusammenführen der Files. Damit macht die Band einen erheblichen Schritt weg von Waverock und Postpunk zu Synthiepop und Indie-Electro der Achtziger. Selbst das Instrumentarium ist authentisch, daher ist die Platte so retro, als wäre sie bereits 40 Jahre alt. Mit ihren guten Songs rechtfertigen Tanks And Tears diesen Rückgriff – „Timewave“ versetzt die Hörenden zurück in die dunklen Ecken der Achtziger.
Auch wenn das Keyboard und der Synthie – Roland SH-101 listet die Info exemplarisch auf, dazu Drummachines wie Roland TR-707, Linn und Korg DDD-5 – hier den Sound dominieren, vergessen Tanks And Tears nicht, dass sie auch noch Gitarre, Bass und Schlagzeug in ihren Heimstudios herumstehen haben. Diese setzen sie ein, wie es vor 40 Jahren die Bands aus Wave, Synthiepop, Electro und so vormachten, um daraus raumgreifende und dunkel gesungene Songs zu gestalten. Referenzen fallen einem beim Hören von „Timewave“ derart viele ein, dass man sie kaum benennen kann: DAF, Joy Division, Visage, alte Human League, Jan Hammer, The Neon Judgement, A Flock Of Seagulls, Martha And The Muffins bis hin zu späteren Nachahmern wie Editors. Tanks And Tears selbst listen noch andere Einflüsse auf: die frühen elektronischen Ministry, Nitzer Ebb, Cabaret Voltaire, Clock DVA, Bauhaus, Skinny Puppy und natürlich Depeche Mode. Kurios: Den klassischen Italo-Pop, den man hier erwarten würde, hört man nur bedingt heraus; typisch Achtziger ist es auch auf anderem Wege, auf einem düstereren nämlich.
Zwar sind auch Tanks And Tears in ihrer Grundfärbung dunkel gehalten, doch übernehmen sie von ausgewählten genannten Beispielen nicht das Böse, das Aggressive. Programmierte Basspatterns, flächige Synthiemelodien, dezidierte Effekte, tanzbare Rhythmen, es ist alles drin und in jedem Song anders. Das Titellied etwa ist eine Uptempo-Nummer mit Achtelbass und Electro-Snare-Claps, die man sich sowohl 1983 im Radio als auch heute im Gruftclub vorstellen kann, die erste Hälfte von „Darkside“ könnte man mit dem sprunghaften Basslauf und den Keyboardflächen irgendwo bei „Speak And Spell“ von Depeche Mode einsortieren, „Haze Of Lies“ ist die kraftvolle Electropo-Ballade des Albums, „Galaxies“ hat mit der Flanger-Gitarre den Fuß in der Wave-Tür, „Vampire Bite“ bettet elektronische Sounds wie bei The Normal in den Wavepop ein. Sehr abwechslungsreich, sehr retro; eine Produktionsweise von heute findet hier nicht statt, etwa durch moderne Beats oder abstraktere Strukturen. „Timewave“ ist eine Zeitreise, die ihre Daseinsberechtigung dadurch erhält, dass die Songs zwar Erinnerungen wecken, aber komplett eigen sind.
Neu im Team ist Keyboarder Lorenzo Cantini, der wohl den Sound mit seinem Extra-Instrument zusätzlich ins Synthetische zu schieben half. Denn Keyboards gab’s bereits bei Tanks And Tears: Sänger und Bassist Matteo Cecchi spielt sie, Gitarrist Claudio Pinelli ebenfalls. Lediglich Francesco Ciulli blieb ausschließlich bei seinem Schlagzeug. Jener trat der Gründungsformation erst ein Jahr später bei, also vor zehn Jahren, war mithin an sämtlichen Aufnahmen ab der 2015er Debüt-EP „Know Yorself“ beteiligt. Was auf „Timewave“ übrigens fehlt, ist „Waltz Of The Shadows“, die B-Seite der Single „Nightmare“, die die Band bereits 2022 veröffentlichte.