Von Matthias Bosenick (08.08.2023)
Dieses Album lässt sich sowas von gar nicht in eine Kategorie einsperren, und das ist gut so: strukturell eher Klassik oder Jazz, von den Instrumenten her Klassik und Rock, musikalisch auch Ambient, Post Rock, Noise Rock oder Swans-Industrial. Man fühlt sich auf „Oscillating Forest“ eher in ein aufgewühltes Meer geworfen als im Wald ausgesetzt, dabei sind es gerade die rauhen Bedingungen im südwestlichen Australischen Busch, die die Band aus Perth zu diesem einstündigen Instrumental-Album inspirierten. Die Kombination aus Klavier und Rock-Instrumentarium mag an Ben Folds erinnern, doch kann „Oscillating Forest“ kaum weiter entfernt liegen von dessen Songs. Weil es hier keine gibt, sondern Stimmungen, Emotionen, Expressionen.
So richtig lebensfreundlich scheint der Australische Busch nicht zu sein, folgt man jedenfalls diesem Album. Zwar mag das Piano grundsätzlich den Anschein von Wärme und Vertrautheit mit sich bringen, doch setzt es die Band hier auf eine eher nicht so vertraute Weise ein, als Teil einer Post-Rock- oder Post-Metal-Band, die sich vielmehr im Jazz oder in der Neo-Klassik bewegt und auch das tödliche Stampfen von organisch erzeugtem Industrial nicht scheut. Ja, es gibt Rhythmen in diesen elf Tracks, und somit eben auch gewisse Strukturen, weil ja aus jedem Takt eine solche entsteht, doch lassen sich TToL nicht in Formate leiten, nicht in Kategorien, hier entstehen keine mitträllerbaren Hits, hier entstehen Emotionen und die Ahnung davon, was es heißt, ungeschützt einer ungezähmten Natur ausgesetzt zu sein.
Die Gitarren flirren auch mal wie im Post Rock, ergeben wohlige Flächen, doch ist Wohliges im Busch nicht von Dauer, starker Wind, heftiger Regen zerstören das Harmonische, peitschen die Zweige ins Gesicht derer, die sich unter den Gewächsen aufhalten, treiben die Schutzsuchenden vor sich her. Dann ebbt das Unwetter ab, man erkundet eine Lichtung, nachts ist es still, Sterne funkeln durchs Blätterdach. Plötzlich wittert man eine unbestimmte Bedrohung, etwas Furchteinflößendes umgibt den Lagerplatz. Eine Horde wilder Tiere nähert sich, gigantisch, kraftvoll, stampfend, wild, ungezügelt, man läuft davon, vor ihnen weg, eilt und irrt durch die Vegetation. Dann ist Sommer und die Hitze brennt hernieder, jedes Bisschen Schatten ist willkommen. Und überall Leben, Agilität, Wunder der Natur. Eine Freiheit, die sich auch in der Musik niederschlägt.
Das Quartett, bestehend aus den Gründungs-Brüdern Luke und Aaron „Ron“ Pollard an Bass sowie Piano und Synthesizern, Paul Briggs, seit 2018 an der Gitarre, und Neuzugang Gracie Mae Smith am Schlagzeug, fasst „Oscillating Forest“ als studiogebannte Energie der Liveauftritte auf, bei denen es offenbar mit Vorliebe zu Noiseausbrüchen und Improvisationen kommt. Das ist deutlich nachvollziehbar. Seit 2008 veröffentlicht die Band EPs, Singles und Alben, „Oscillating Forest“ ist Album Nummer vier und Release Nummer zehn. So richtig Bock, sich schutzlos dem Australischen Busch auszusetzen, hat man nach diesem Parforceritt nicht, aber das Album hören mag man immer wieder.