Von Matthias Bosenick (21.02.2017)
Mega mega wildes Ding, diese überraschende Fortsetzung des Neunziger-Popkultur-Meilensteins (als solchen muss man den Film auffassen) „Trainspotting“. Regisseur Danny Boyle holte die verbliebene Clique zusammen und erzählt, was aus den perspektivlosen Edinburgher Junkies und Kriminellen nach 20 Jahren so geworden ist. Das brutale und melancholisch-humorige Ergebnis ist nicht nur inhaltlich stimmig, sondern auch formal, in Sound und Vision. Spannend ist außer dem Film sicherlich die Frage nach dessen Zielgruppe.
In Sachen Popkultur war „Trainspotting“ 1996 prägend: „Born Slippy.NUXX“ von Underworld, „Lust For Life“ von Iggy Pop, Begbies Bierglaswurf, der Tauchgang durch das verdreckte Klo, das tote Baby an der Decke, der „Choose Life“-Rant. Dazu die abgefuckten Typen, die im politisch und wirtschaftlich abgehängten Edinburgh versuchen, den Arsch an die Wand und die Füße auf den Boden zu kriegen. Und dann von einem aus den eigenen Reihen um ihre mühsam ergaunerte Kohle betrogen werden.
Die Fortsetzung hat: genau das alles auch. Okay, das Baby und das Klo nur als Zitat, den Rest aber als Rückblende oder als Remix. Und es geht damit los, dass Renton, der Abzocker, überraschend nach Edinburgh zurückkehrt und sich mit der Wut seiner früheren Freunde sowie deren anhaltender Perspektivlosigkeit auseinandersetzen muss. Und seiner eigenen. So sehen Typen wie diese eben mit Mitte Vierzig aus.
Da setzt dann jedoch gleich die Frage nach der Zielgruppe an. Wer soll sich heute für Typen wie Renton, Spud, Sick Boy und Begbie interessieren? Für Jugendliche dreht es sich um deren Elterngeneration, und Leute, die „Trainspotting“ als Jugendliche im Kino sahen, sind heute gesetzt und keine Cineasten mehr, abseits von Netflix zumindest. So droht dem Film vermutlich das Schicksal eines Nischenprodukts.
Und das ist sehr bedauerlich, denn nicht nur inhaltlich dreht Boyle am Rad, auch in Sachen Bildkomposition, Lichtspielerei und Effekten hat der Schotte offensichtlich dazugelernt. Beispiele dafür gibt es unzählige, und nicht alle fallen sicherlich sofort auf; darunter: der Schatten der verstorbenen Mutter am Küchentisch, das Flackern der vorbeirasenden Eisenbahnwaggonlichter im Pub, die digitale Stockwerkanzeige an der Fassade eines Hochhauses, ein durchs geschlossene Fenster verfolgter Dialog und die schon im ersten Teil liebgewonnenen Freezemomente. Dazu narrative Kamerafahrten, ein fast touristischer Blick auf Edinburgh und der Einsatz von attraktiver Musik aus Vergangenheit und Gegenwart. Zudem flicht er lauter Handlungsstränge ein, die die Hauptgeschichte – die nicht sonderlich breit aufgestellt ist – erweitern und den Figuren mehr Tiefe geben.
„Trainspotting“-Autor Irvine Welsh legte bereits zwei weitere Teile als Roman vor, „Porno“ und das Prequel „Skagboys“. Boyle bedient sich nur auszugsweise beim Sequel „Porno“, den Filmdreh lässt er ganz weg. Vielmehr konzentriert er sich auf das Gefüge zwischen den zerstrittenen Figuren und lässt sie sich erinnern (die ausufernden Rückblenden sind das einzige Manko, außer denen, die eigens für diesen Film angefertigt wurden) und weitergehen. Einige treten tatsächlich eine positive Entwicklung an. Und am Ende geht ein völlig unerwarteter Mensch als Gewinner hervor. Es gelingt dem Team, einen Film zu erstellen, der die Vergangenheit aufgreift, aber in der Gegenwart eine Melange aus Aggression und Angst aufkommen lässt, die den Zuschauer mit den Figuren mitfiebern lässt. Sozialromantik, Wehmut und Aufbruchstimmung bestimmen die Gefühlslage, durchsetzt mit Humor, sonst wäre der Film bestimmt unerträglich. 1690.
Schön ist überdies, dass sich Boyle und sein früherer Hauptdarsteller Ewan McGregor wieder versöhnten. Der brach mit seinem Mentor, als der für „The Beach“ nicht ihn, sondern Leonardo Di Caprio bevorzugte. Jetzt sind die Kriegsbeile begraben und „T2“, nicht zu verwechseln mit dem Terminator, wurde möglich. Ein Glück.