Von Matthias Bosenick (02.07.2016)
Überraschend unlärmig ist der – ja, auf das Wortspiel kommt jeder – Schwanengesang der jüngsten Swans-Inkarnation. Leichte Kost wird dieses zweistündige Album dennoch für die meisten Menschen kaum sein. „The Glowing Man“ klingt, als hätten Michael Gira und seine nicht mehr lange um ihn kreisenden Mannen das Vorgängeralbum „To Be Kind“ entkernt und hier die herausgearbeiteten Kerne neu verfugt. Repetetives Ausufern ist die Basis der meisten Stücke, mit flirrenden, nur latent dissonanten Semimelodien darüber. Selbst das Tempo bleibt reduziert, die musikalische Wucht dadurch aber kaum. Was man mit den herkömmlichen Bandinstrumenten nicht alles selbst im Jahre 2016 noch Unerhörtes kreieren kann. Respekt, ihr alten Männer!
Noch zuletzt verschütteten die Swans ihre Neigung zur musikalischen Schönheit unter tonnenweise Lärm. Dieser Lärm ist nun auf „The Glowing Man“ beiseite geschoben und die Ästhetik freigelegt. Hier geht es mehr um Atmosphären und Soundlandschaften als darum, infernalisch die Magengruben zu malträtieren. Das zeichnet die Musik der Swans seit Anbeginn aus: Sie ist sehr vielschichtig, keine zwei Alben klingen gleich, der Hang zum Experiment schloss etwa in den Neunzigern sogar schrägen Techno mit ein. Hier bleibt es aber bei akustischen Instrumenten, teilweise elektrisch verstärkt.
Zart, fast ätherisch beginnen die Swans ihr neues Album. „Cloud Of Forgetting“ bezirzt mit einem klaren Piano, das den stoischen, aber leichten Rhythmus begleitet. Fast 13 Minuten lang. „Cloud Of Unknowing“ dauert 25 Minuten, hier erzeugt Giras unglaublich eindrucksvolle, tiefe, charakterstarke Stimme eine Art Trancezustand, bis das Stück dann nach einer Viertelstunde unkontrolliert einen Abhang hinunterkullert. Die Band fängt sich wieder und kehrt zur fast jazzigen, leicht spukigen Ambientstille zurück. Und das so reizvoll, dass man gar nicht weghören kann.
Die hypnotisierende Rotation ist auch in „The World Looks Red/The World Looks Black“ die Methode der Wahl. Zur Mitte gesellen sich dezente Bläser dazu, dann verstärkt sich die Rhythmusmaschine: Das Lied bekommt eine zunächst unterschwellige Kraft, die den Eindruck erweckt, es wolle eruptieren. Solches lässt auf sich warten, aber die Bläser und ein Chor unterfüttern den Rhythmus, ohne konkrete Melodien hinzuzufügen. Schönheit gibt es auch ohne oberflächlichen Schönklang. Und auf diese Weise behält die Musik ihren fordernden Reiz bei, wenn nicht sogar einen subliminalen Groove. Mit dem morbid funkelnden Seemannslied „People Like Us“ endet die erste Seite: Mit viereinhalb Minuten ist der verführerische Schunkler das kürzeste Stück des Albums, mit Glocken, Piano und Frauenchor womöglich sogar der poppigste. Pop nach Art der Swans.
Die zweite Seite beginnt mit einem Chor, bestehend aus zunächst nur weiblichen Stimmen und dann der von Gira dazu, der sich zögernd aufbaut und eine Art Kakophonie ergibt, die stark an den ersten Kontakt mit dem Monolithen auf dem Mond in „2001: A Space Odyssey“ erinnert. Erst nach sieben Minuten nehmen die Instrumente in „Frankie M.“ Überhand und treiben das Kakophonische voran, jedoch ohne die Brutalität der früheren Werke. Kurz vor der Mitte des Einundzwanzigminüters übernimmt die ganze Band den Sound, wie gehabt in Kreisen, aber mit einer zwangsläufig wiederkehrenden Stolperdelle im Rad. Auch der Chor kehrt alsbald zurück. Bis der Song plötzlich in folklorige Popstrukturen fällt, mit Wohlfühlgesang von Gira und akustischen Schmetterlingen. Und wieder erzeugen sie auf Langstrecke einen groovenden Sog. Den sie dann doch nicht so bestehen lassen können: Beklemmung macht sich breit, dann rocken die Swans erstmals auf diesem Album los. Rock nach Art der Swans.
Es folgt „When Will I Return?“, mit Frauengesang zur Akustikgitarre mit befremdlichen Hintergrundgeräuschen (übrigens mit fünfeinhalb Minuten das zweitkürzeste Lied). Wundervoll, wenn man angstresistent ist, aber die fehlende Kraft einer Jarboe macht sich im direkten Vergleich stark bemerkbar. Nach der Hälfte erinnert der Song an die wunderschön gruftige Folklorezeit rund um „The Burning World“. Und dann kommt das Titellied. Fast eine halbe Stunde lang. Mit Orgel und Stimmen flirrt es eingangs konturlos herum, dann setzt wieder die gewohnte Wiederholungsmaschinerie ein, mit Giras Stimme und anderen Brummtönen, von der Band reduziert, aber temporeich und fordernd begleitet. Später demonstrieren die Swans ihre ausufernde Vorstellung von einer Polka. Exakt zur Hälfte machen die Jungs daraus abrupt einen Rocksong. Den sie dann in etwas münden lassen, dass die Ansätze zu den früheren Lärmattacken in sich trägt. Diesen lassen sie freien Lauf, unterbrechen sie gelegentlich, hantieren unkontrolliert am Klavier, schrammeln auf der Gitarre, dreschen ins Schlagzeug, zurren am Bass. Aber alles noch deutlich weniger die Physis zerfleischend als zuvor. „Finally, Peace“, behauptet die Band abschließend für sechs Minuten. Und hat mit dem Flower-Power-Gruftstück sogar Recht. Einmal mehr Swans-Pop.
Die limitierte Fassung beinhaltet wieder eine Live-DVD. Der Mitschnitt stammt aus der Zeit der „To Be Kind“-Tour. Wenn man eingangs die Bandmitglieder vor dem Auftritt miteinander knuddeln sieht, mag man gar nicht glauben, dass diese zarten alten Herren anschließend solch brutale Musik erzeugen. Doch auch die DVD fängt die physische Gewalt eines Swans-Konzertes nicht ein. Sie ist gut, aber ersetzt das Erleben nicht. Gut so.
„The Glowing Man“ wurde, ebenfalls wie die beiden Alben davor, dadurch teilfinanziert, dass sich Fans über die Webseite des Young-God-Labels limitierte Live-Alben kauften. Diese gehören nun in die Discographie der Band – was das Sammeln nicht eben einfach macht. Offiziell ist „The Glowing Man“ das nur 14. Album in 34 Jahren (inklusive 13 Jahren Pause), aber drumherum gibt es so unüberblickbar viele spannende weitere Veröffentlichungen, dass man seinen Geldbeutel tief im Garten vergräbt. Übrigens empfindet der Rezensent die Swans als die vermutlich einzige Band, die seit ihrer Reaktivierung Musik von Relevanz generiert. „The Glowing Man“ gehört dazu. Leider kündigte Gira an, diese Inkarnation seiner Band ad acta zu legen, weil er mit ihr alles auserzählt habe, was es zu sagen gebe. Das ist schade, aber konsequent. Wenn aber das nächste Reboot der Band des alten Mannes so gut wird wie dieses, gibt es Hoffnung.