Von Matthias
Bosenick (15.07.2019)
Was tut man, wenn eine Geschichte
eigentlich längst auserzählt ist, aber überraschenderweise so
viele Anhänger fand, dass man sich von Marktes Seite dazu getrieben
sieht, sie fortzusetzen? Man baut äußere Umstände wie das
Erwachsenwerden der Jungschauspieler in die Story ein, zitiert die
rahmengebenden Achtziger wie nix, dreht an der Action- und
Gewaltschraube und vergisst, worum es vor drei Jahren mal ging. In
Staffel 3 der Netflix-Serie „Stranger Things“ findet man sich als
Fan der ersten Stunde kaum noch zurecht. Zwar ist die Geschichte –
nachdem man die unsäglichen ersten Episoden überstanden hat –
spannend, aber nicht im Sinne der Serie, sondern lediglich aus sich
selbst heraus. Ein, zwei Staffeln sollen noch folgen, heißt es. So
geht das im Kapitalismus, der ist stärker als die Kunst. Zum
Beispiel die Kunst, aufzuhören.
Man muss geduldig sein, bis man überhaupt einen Zugang zur dritten
Staffel findet. Schon das letzte Drittel der zweiten Staffel hatte
mit Elfies Entwicklung Akzente gesetzt, mit denen man sich nur schwer
bis gar nicht arrangieren konnte. War die Serie ursprünglich dunkel,
rätselhaft, mysteriös, empathisch, monströs, startet Staffel 3 nun
bunt, kreischig, nervig, mit Erste-Welt-Teenagerproblemen,
Holzhammer-Achtziger-Referenzen und dem deplazierten Dauerthema Sex.
Keine Figur ist mehr sympathisch, selbst Dusty und insbesondere der
völlig aus dem Ruder agierende Hopper lassen einem keine
Identifikationsansätze übrig. Die Hawkins-typischen Gruseligkeiten
sickern zunächst nur spärlich in die Nichthandlung ein. Aber ab
Episode drei, vier geht es dann richtig los und man vergisst beinahe
den erschreckend beschissenen Anfang, der sich fürderhin nur noch
gelegentlich sowie halbwegs tolerabel Bahn zu brechen hat.
Max‘
Bruder Billie hat plötzlich lethale Eigenschaften und sammelt
Menschen zu einer Armee zusammen, aus der die Reinkarnation des
Staffel-2-Gegners erwächst: der Mind Flayer, eine Megaspinne. Will
hat durch seine Erlebnisse in Staffel 1 physisch Kontakt zu dem, er
spürt, wenn das Monster in der Nähe ist; das ist dann auch alles an
Bezug zum Anfang. Das Tor zum Upside Down aus Staffel 2 ist nicht
mehr verschlossen, erst das ermöglicht überhaupt das Ausbüxen des
Mind Flayers. Und zwar sitzen – logisch! – ominöse
Wissenschaftler und das Militär aus Russland in einer gigantischen
Basis unter dem Einkaufszentrum von Hawkins und experimentieren mit
diesem Zugang. Warum auch immer. Die Mall ist immerhin ein
willkommener Anlass für Product Placement.
Jedenfalls
kriegen sich die vier Ur-Kids aus Staffel 1 in die Haare und ziehen
mit neuen und alten Verbündeten getrennt voneinander in die
Schlacht, als dritte Partei agieren der immer noch brachiale Hopper
und Joyce, im Verbund mit dem Sechziger-Hippe und Computer-Nerd aus
Staffel 2 sowie einem desertierten Russen. Da stecken zwar viel
Spannung und einiger Humor drin, aber auch ein hoher Nervanteil. Mit
der Laufzeit zumindest ändern sich auch die Charakterzeichnungen der
meisten Figuren wieder und nähern sich zaghaft dem an, wofür man
sie seinerzeit liebte; nur Hopper bleibt unangenehm
unberechenbar.
Was allerdings nicht geschieht, ist, dass
die Geschichte wieder mysteriös wird. Der Gegner ist bekannt,
nämlich der Mind Flayer, und neue Kreaturen aus Upside Down kommen
nicht hinzu. Dieses Mal sind es indes keine amerikanischen
Wissenschaftler, gegen die es anzutreten gilt, sondern: böse Russen.
Dieses überkommene Weltbild aus dem Kalten Krieg der Achtziger ist
extrem plump. Es mag ja sein, dass Russland für die US-Amerikaner
aktuell unter ihrem Präsidenten Donald Trump wieder zum Bösen
mutiert, aber diese Schwarz-Weiß-Zeichnung ist für diese Serie
vollkommen unangemessen.
Das Ergebnis ist, dass „Stranger
Things“ nicht länger eine Serie über Kleinstadtkids mit inneren
Konflikten ist, die sich gegen eine externe Monstermacht wehren
müssen, sondern ein im Stile der Achtziger und Neunziger
choreografiertes Action- und Gewalt-Szenario. Prügeleien,
Schießereien, bedenkenlos Getötete: Das ist ja alles schön
spannend, aber lediglich für sich selbst, nicht im Sinne der
vorherigen Staffeln. Unmöglichkeiten wie Kinder, die die Russen in
ihrem eigenen unterirdischen Labyrinth schlagen, die Abwesenheit von
übergeordneten Behörden angesichts eskalierender Monstrositäten
sowie andere Logiklücken seien einfach mal als Fantasyanteil
hingenommen; akzeptieren kann man solche Elemente eher nicht, sogar
noch weniger als die Existenz von Übersinnlichem.
Bei
vielen Anteilen der Staffel hat man den Eindruck, sie seien lediglich
deshalb enthalten, um der Generation der Umdiefünfzigjährigen ein
popkulturelles Referenzding zu kredenzen. Müssen Dusty und Suzie
unbedingt an einer spannenden Stelle „Never Ending Story“ singen?
Muss Elfie mit Max in der Mall shoppen gehen und in schlimmstem
Achtziger-Outfit zu ihrem geschassten Exfreund Mike sagen: „Das ist
jetzt mein Style!“? Andere Anspielungen wie Filmplakate, Gespräche
über Popkultur oder direkte filmische Zitate wie aus „Alien“
oder „Terminator“ sind ja noch nett, ein vor Russen rettender
Kinobesuch von „Zurück n die Zukunft“ wiederum wirkt sehr übers
Knie gebrochen. Die ersten Staffeln beinhalteten zwar ebenfalls ein
Achtziger-Setting, aber deutlich behutsamer, viel mehr aus der
Geschichte heraus. Sicherlich war die Serie von Anfang an klar in
Ästhetik und Historie in den Achtzigern verankert, blieb für sich
aber deutlich zeitloser als die dritte Staffel. In einem weiteren
Punkt äußert sich die Mainstreamisierung der Serie: Waren in
Staffel 1 noch Bands wie The Clash Thema, läuft in der neuen nur
noch öder MOR-Radiorock, den die Mehrheit mitsingen kann; die Serie
lässt ihre Coolness fahren.
Es bleibt am Ende emotional
nicht viel hängen, selbst der Tod von nahestehenden Figuren
hinterlässt eher ein Schulterzucken (wobei der Nachklapp die diffuse
Hoffnung zulässt, dass einer von ihnen in Kamtschatka
weiterexistiert; die einzige Szene überdies, in der ein Demogorgon
zu sehen ist). Wenn dann alle nach rührseliger „Es“-Manier
auseinandergerissen werden, schluckt man zwar sehr wohl einmal, aber
so richtig nimmt es einen nicht mehr mit. Dafür hat sich die Serie
in eine viel zu belanglose Richtung entwickelt. Aber das sind die
Zeichen der Zeit – das war selbst in den Achtzigern schon so. Wer
mag beispielsweise ernsthaft die Ewoks?