Von Matthias Bosenick (06.11.2017)
Die ersten zwei Drittel der zweiten Staffel von „Stranger Things“ knüpfen mitreißend an das Überraschungsdebüt der Duffer Brothers an, dann steigt ihnen plötzlich das Konzept zu Kopfe. Der Schluss zieht die Freude an der liebevollen Achtziger-Geschichte mit den überzeugenden Charakteren ins Beliebige, in den Zitatetrash, dem die Geschichte zu folgen hat, anstatt umgekehrt. Unter diesem Umständen hält sich die Vorfreude auf die dritte Staffel leider in Grenzen.
„Stranger Things“ hat alles, was den erwachsenen Nerd an die Mattscheibe klebt: Figuren vom Kind bis zum Erwachsenen, die ausformulierte Charaktere haben und schlüssig agieren, eine minderjährige Schicksalsgemeinschaft aus Nerds, die sich mit dem Verschwinden ihres Gruppenmitglieds auseinanderzusetzen haben, sowie eine Bedrohung aus Verschwörung und Übersinnlichkeit, die Horror und Suspense auslösen. Dazu in Aussehen und Klang den Stil der Zeit mit allerlei Anspielungen auf Popkulturprodukte jener Dekade, die man nicht kennen muss, um die Geschichte zu lieben, und die als Quelle für eine eigene Geschichte dienen und nicht als platter Diebstahl daherkommen. Für die liebevoll ausformulierte Geschichte nimmt man auch gern den filmischen Dilettantismus in Kauf, denn lieber eine schlüssige Handlung als eine glatte Oberfläche.
In Staffel zwei ziehen die Duffer Brothers zunächst alle Register: Die Story knüpft nachvollziehbar an den offenen Fragen der ersten Staffel an, die Bilder könnte man sich auch im Kino vorstellen, das Erzähltempo ist ausgewogen mitreißend, neue Figuren erweitern das Spektrum, der Horror wird zusehends blutiger, die Spannung steigt unermesslich. Und dann – überdrehen es die Duffer Brothers. Sie geben der Minderjährigen Elfie Charakterzüge und Handlungsexkurse, die nahezu komplett überflüssig und unschlüssig sind. Ihre Wandlung macht sie vom unschuldigen Kind zum mordlüsternen Vamp. Zwar ist ihre Geschichte mit den Vorkommnissen verknüpft, doch reduziert sich ihre Zuständigkeit in Staffel 2 ansonsten auf eine reine Torschlussfunktion, weshalb sie sich vermutlich unnützerweise in einer Großstadt einigen kriminellen rachsüchtigen Hollywoodpunks anschließen muss. In den verbleibenden zwei Episoden fallen die positiven Überraschungen zugunsten von Gefälligkeiten für die Zuschauer beinahe vollständig weg. Dabei ist der Verbleib der Nebenfigur Bob doch so grandios, Potential also vorhanden.
Mit dem enttäuschenden Ende vor Augen fallen einem noch mehr Kritikpunkte auch in den ersten sechs Episoden auf. Das Schlimmste sind die Teenageranteile. Man will als Erwachsener einfach nicht gefühlt stundenlang miterleben, wie sich Minderjährige auf einem Schulball verlieben, wie sich Nancy und Jonathan nach anfänglichem Sträuben doch noch in ein Bett legen, wie Steve Dusty Tipps fürs Mädchenaufreißen und die Haarpflege gibt. Die komplexe Beziehung von Joyce und Hopper wäre weitaus interessanter gewesen, aber offenbar reicht die eigene Adoleszenz der Drehbuchautoren nicht so weit.
Überhaupt spielen Erwachsene abseits davon keine wesentliche Rolle. Die übersinnliche Bedrohung, die die Kleinstadt Hawkins befällt, betrifft nur Kinder, keine Eltern (außer Joyce) oder gar andere Bewohner. Das haben die Duffers bei Stephen King gelernt und das hat man auch gern in Anspielung an „Stand By Me“ oder „Es“ mitgenommen. Das Problem dabei ist nur, dass man schon mit 13 nicht mehr empfand wie als Elfjähriger und sich also als Erwachsener gar nicht mehr mit den Kinderproblemen auseinandersetzen mag, sofern es zumindest über Nerdgeschmack hinausgeht. Rollenspiele und Kinofilme kann man nachvollziehen, aber Ressentiments oder Schwärmereien gegenüber kleine Mädchen nicht mehr. Während Hopper souverän erwachsen damit zurechtkommt, dass Joyce mit Bob einen neuen Freund hat, wirbelt die neue minderjährige Einwohnerin Max die Gruppe der Kinder-Nerds durcheinander und bringt sogar Elfie auf die Palme. Das ist albern und klischeehaft und nimmt der Serie eine wichtige Stärke, nämlich die Verbundenheit zwischen den Ausgestoßenen, die hier zwar immer noch am selben Problem arbeiten, aber nicht mehr miteinander.
Nicht nur auf Seiten der Bevölkerung, auch bei den Verschwörern haben die Erwachsenen wenig Spielraum. Die Duffers lassen sie sogar verbluten bis schlichtweg wegfallen. Blenden sie zunächst noch bei allen möglichen Vorkommnissen eine anonyme Gruppe Beobachter ein, die vermeintlich die Fäden in der Hand haben, sind diese Hintermenschen zuletzt schlichtweg inexistent und damit unlogische Abwesende, die die aus dem Ruder gelaufenen Experimente mit der Anderwelt hätten eindämmen können.
King ist nicht die einzige Zitatequelle in „Stranger Things“. Die Duffers bedienen sich sichtbar bei den „Goonies“ und anderen Teeniefilmen der Achtziger, was als rein optisches Zitat in Ordnung ist. In Staffel 2 binden sie damalige Trends wie die „Ghostbusters“ oder „Terminator“ geschickt in die Handlung ein, indem die Kinder als erstere verkleidet zu Halloween unterwegs sind und zu zweiterem Filmplakate herumhängen. Langweilig wird es aber gegen Ende, wenn die Geschichte plötzlich als Mix aus „Exorzist“ und „Alien“ abgeschlossen wird. Da steht das Zitat über der Handlung, damit fehlt dem Drehbuch das Eigene, für das man die Serie so geliebt hat. Da sind einem die Kartoffelchips auf einmal wichtiger als die Action.
Längst ist die Rede von Staffel 3. Auf die hat man mit einer solchen Elfie aber wenig Lust. Es steht zu befürchten, dass die Duffers jetzt anders als zuletzt unter Erwartungsdruck stehen und versuchen, die Zuschauer zu bedienen, anstatt ihr Ding zu machen. Wenn aber solche Sequenzen wie die mit Elfie schon deren Ding sein sollten, sind die Aussichten nicht besser.
Übrigens gibt es für Smartphones ein liebevolles Spiel zu „Stranger Things“. Für ein Gratisspiel ohne Werbung ist das ein Bombending, an dem man ohne Lösungen locker zehn Stunden Spaß haben kann. Der Gag mit den Ghostbusters am Telefon kommt auf Deutsch indes gar nicht herüber – viel Spaß beim Entdecken!