Steamgenerator – Hopeless Romantic – Steamgenerator 2023

Von Matthias Bosenick (19.07.2023)

Es ist nur konsequent, dass sich eine Band aus der Industriestadt Wolfsburg Dampfmaschine nennt, oder? „Hopeless Romantic“ ist die zweite Veröffentlichung des Quintetts Steamgenerator, das sich Stoner und Doom auf die Etiketten gemalt hat, dafür jedoch viel zu hoffnungslos romantisch ist – und zu vielseitig: Wie bei den genannten Genres üblich, hört man einen starken Einfluss der Siebziger heraus, Black Sabbath bis Classic Rock, aber auch, ebenfalls dort entnommen, den Grunge der Neunziger – und auch mal den in Richtung Wave schielenden Postpunk der Achtziger. Nicht die reine Lehre also, und das ist auch genau richtig so, alles andere gibt es ja schon – die fünf fördern einen bunt schillernden Diamanten aus dem Kohleflöz zutage.

„Untertage“ ist dann auch der Titel des ersten Tracks, der das Thema der Debüt-EP „Black As Coal“ aus dem Jahre 2019 aufgreift. Die restlichen sechs Songs sind auf Englisch gehalten, abgesehen von einigen deutschsprachigen Samples. Man beschreitet als nächstes das „Age Of Transmission“ und den „Electric Temple“, die dem Stoner-Doom-Emblem mit ihren heruntergepitchten Riffs sehr gerecht werden, zusätzlich mit einer Gitarre, die in den melodiösen Passagen an Thin Lizzy erinnert, und einer bei Deep Purple ausgeborgten Orgel. Nur, dass der Gesang bei Steamgenerator deutlich vom selbstgewählten Genrelabel abweicht: Cesare Piseddu klingt an nicht wenigen Stellen nach Layne Staley, den melancholischen Grunge von Alice In Chains bringt die Musik im Verlauf des Albums dann gleich mit. Wenn er aber in „Electric Temple“ beschwörend „Join us … in the electric temple“ skandiert, hat er nicht nur die viel eigenere Note, sondern auch noch eine, vor der man lieber Vorsicht walten lässt: Wer sich so vor einem aufbaut, dem traut man vielleicht nicht so spontan über den Weg.

In Wahrheit lohnt es sich natürlich, ihm Folge zu leisten. Der Song nimmt Fahrt auf, der Gesang wird mehrstimmig, Call-and-Response, und schon jetzt passen die obigen Etiketten nicht mehr. Und dann wird’s so richtig besonders: „1000 Flowers“ bricht mit allen Regeln, dringt weit in den Gothic Rock vor, aber in den hymnisch-melancholischen, nicht den morbid-depressiven. Der Titel des Albums kommt sehr zum Tragen, wenn die Gitarren waverocken und Piseddo den melodiösen Achtziger-Indie-Gesang performt, der woran erinnert, den Morrissey zu The-Smiths-Zeiten vielleicht, nur etwas tiefer und kräftiger? Der Song wechselt jedenfalls mehrmals die Stimmung, andere hätten aus den Elementen eine eigene EP gemacht. Der Kindergesang am Schluss nimmt die Melancholie heraus – und bereitet den Weg für die Orgel in „Locomotive Rust“, das wieder den Classic Rock aufgreift, schließlich lässt der Titel an Jethro Tull erinnern. Doch bleibt es, wie bei allen Songs dieses Albums, nicht bei der einen Ausrichtung: Der beatlose Mittelteil mit der klar gespielten E-Gitarre lässt den am Progrock orientierten Goth Rock mitschwingen, der anschließende Galopp-Ausbruch kehrt zum Classic Rock zurück. Mit Begriffen wie „rust“ und „steam“ im Refrain zollen Steamgenerator zudem ihrem Bandnamen inhaltlich wieder Tribut.

Der „Solitude Traveller“ überrascht mit einem Synthie, der über dem verschleppten Rocker die Melodie spielt. Hier kommen abermals Grunge und Goth zusammen, bevor das Stück kurz zum im Lowtempo mitreißenden Neckbreaker wird. Das finale „Zuse“ fasst noch einmal alle Stärken der Band zusammen – Schwächen lassen sich ohnehin nicht ausmachen – und kombiniert den doomig-versteinerten Kopfnicker mit melancholischem Grungegesang, Siebziger-Riffs und Sprachsamples.

Seit 2017 gibt es Steamgenerator, seitdem in unveränderter Besetzung. Hinter Piseddo scharen sich: Bassist Tobias Gloge (um 1990 bei den Speed-Thrash-Metalern Access und den Death-Metalern Inner Bleeding, außerdem hinterließ er Spuren bei Despised, Intoxicated, Grief Of God und Ingrain, in den Neunzigern war er Live-Bassist bei Oomph!, heute ist er nebenbei noch bei der Metal-Cover-Band Roadkill Revolution), Schlagzeuger Christian Steffenhagen (Grief Of God und Inner Bleeding), Gitarrist Marcus Milbrandt (Grief Of God sowie assoziiert mit Cryptic Voices, bei denen Autor Marc Halupczok alias Till Burgwächter seinerzeit spielte) und Keyboarder Oliver Korsten (Access, Grief Of God und Inner Bleeding). Eine Mischung, die nach mehr Metal klingt, als es Steamgenerator tatsächlich vollführen – auch wenn die Härte als Grundlage durchaus gegeben ist, aber nicht dominant. Man kann sich ja auch weiterentwickeln, zukunftsgewandt in die Vergangenheit.

[Edit 01.08.2023] Von Seiten der Band, namentlich Chris, kommen einige Vergenauigungen des Steamgenerator-Stammbaums:

„Marcus hat bei Grief Of God, Transmission Club, Behind Jaggi Lines und kurz bei Bonestock gespielt, bei Cryptic Voices war er nicht, da war aber Klaus Horn, der ehemalige Bassist von Grief Of God. Ist also nicht ganz daneben. Bei Tobi (war auch kurz bei Bonestock), Oliver (war eine zeitlang noch bei Scapegoat) und Cesare stimmt das sonst soweit. Cesare hat damals bei Brittalien gesungen, die auch mit auf dem legendären Konzert 1988 zusammen mit Protector im Freizeitheim West gespielt haben. Ich selber habe bei Phosphatfrei, Inner Bleeding, Grief Of God, Ice Monkey, Transmission Club und Behind Jaggi Lines gespielt.“ […] „Tobi war nie bei Grief Of God“ […] „Bei Dispised hatte er aber gesungen.“ […] „Also bei Ingrain und Intoxicated war Tobi doch.“ […] „Jetzt müsste es alles korrekt sein.“

Danke, Chris!